a la recherche

Lyndsay Stonebridge fragt in ihrem Buch über Hannah Arendt „Wir sind frei, die Welt zu verändern“, S. 187:
„Wie konnte das Böse so organisiert werden, dass es zum Normalfall wurde?“

Karl-Ove Knausgaard schreibt dazu in „Kämpfen“, S. 898, einer Stelle, die ich nie vergessen konnte (und der eigentlich zentrale Satz stammt dann tatsächlich wohl von Hannah Arendt selbst:
„…Als Jaspers ihn fragte, wie denn ein so ungebildeter Mensch wie Hitler regieren können solle, antwortete Heidegger wie ein Verliebter, er sagte: Bildung ist ganz gleichgültig… sehen Sie nur seine wunderbaren Hände an!  Nur Anstand hätte ihn retten können wie alle anderen, die Hitler folgten. Jaspers wurde vom Anstand gerettet,  genau wie Jünger und Mann. Heidegger dagegen nicht. Und erst recht nicht Franz Stangl, der Lagerkommandant von Treblinka. Für ihn bedeutete Anstand, auf seinem Posten auszuharren und dafür zu sorgen, das tagtäglich zehntausende Menschen vergast und verbrannt werden konnten, damit keine Warteschlangen im System entstanden. …

Im Dritten Reich sagte das Gewissen nicht: Es ist falsch zu töten, es sagte: Es ist falsch, nicht zu töten, wie Hannah Arendt es so präzise formuliert hat.

Ermöglicht wurde dies auch durch eine Verschiebung in der Sprache, die sich in ihrer Reinform in Mein Kampf zeigt, wo es kein „Du“ gibt, nur ein „Ich“ und ein „Wir“, wodurch aus dem „Sie“ ein „Es“ gemacht werden kann. Im „Du“ lag der Anstand, im „Es“ lag die Bösartigkeit.

Aber es waren „Wir“, die sie vollstreckten.

… Als die ersten Klänge den Raum erfüllten, verstand ich endlich, was er meinte. Ich hörte mir alle seine Songs an. Jeder von ihnen klang gut, es gab kein einziges schlechtes Lied. Die Kritik wäre sicher wohlwollend ausgefallen. Aber es war auch nichts dabei, was einen umhaute. Dafür, dass Beck seit acht Jahren daran arbeitete, dafür, dass es sein Leben total ändern sollte, war es zu wenig. Irgendetwas fehlte. Eine einzelne besondere Melodie, ein Hauch von Genialität, den er nicht hatte. Ein Hit.

Ich sagte ihm, was ich dachte. Er hörte gelassen zu. „Du sagst also, meine Songs sind einfach nur solides, gehobenes Mittelmaß?“

„So hab ich das nicht gemeint.“ Natürlich hatte ich es so gemeint. Ich seufzte: „Das Problem ist einfach: Sie haben alles reingesteckt, was Sie gefühlt und gelitten haben. Diese Songs sind sicher Ihr Ein und Alles, und sie sind auch ganz gut, aber Sie haben nicht ein Lied, eine Melodie, die wirklich heraussticht. Sie haben keine Speerspitze, und deshalb fällt alles in sich zusammen.“

Und das war der Punkt.

Beck … hatte nichts. Er würde ein paar gute Besprechungen kriegen, ein paar CDs verkaufen, und das war es dann. Und er wusste das.

 

(Seite 413)

 

… noch etwas, was ich mir aus dem Büchlein von Benedict Wells habe merken wollen: Er bemerkt irgendwann, nicht alle haben den Luxus von Zeit und Erfolg.

Mir erschien das recht treffend. Welche Auswirkungen auf die eigene Arbeit das auch immer haben mag. Weil: Man muss sie ja trotzdem tun. Wenn man sich nicht unterkriegen und entmutigen lässt.

zum Schreiben

In seinem Büchlein „Die Geschichten in uns“, in dem er sich Gedanken über das Handwerk des Schreibens macht, insbesondere auch über sein eigenes Schreiben, zitiert er ein – wohl englisches – Sprichwort (zumindest bezeichnet er es als solches): When I lost my excuses, I found my results.

Das wollte ich mir hier einfach auch mal merken.

Tage wie Hunde

Am Vorabend liegt das
Brautkleid bereit (so mutet es an, gewaschen, ge-
bügelt, wiewohl schon von vielen getragen, und von
vielen wird es noch getragen werden):
Spitalhemd
Kompressionsstrümpfe
Netzhöschen
Im Schließfach wartet
der Ehering auf die Rückkehr
der frisch Operierten, dem Leben neu vermählt
Draußen schneit es –
Schneeregen eher.
Ich schließe die Augen
und höre am Morgen wie zum Trost als Erstes die
Bagger –
hier wird an der Zukunft gebaut

tage wie hunde

In Ruth Schweikerts Buch „Tage wie Hunde“ stoße ich ziemlich gegen Ende auf folgende Sätze:
Zum 1. Januar 2018: „… und unvermutet bekommt die Zeit ein Volumen, als könne man das neue Jahr betreten wie einen Raum …“
und etwas später:
„ich werde morgen operiert, heute erst auf alles
vorbereitet. ist wohl schlimmer als die OP selbst… die
man ja nicht mitkriegt bekanntlich, nur der körper kriegt
sie mit“

aus Paul Lynch, „Das Lied des Propheten“

„…Na gut, sagt er, dann schreib ich einfach mal ihren Namen und ihre Telefonnummer auf, ist ja bloß Teilzeit, abends Regale auffüllen, auf die Stelle haben sich schon andere beworben, sogar eine ganze Menge, aber wir melden uns jedenfalls. Sie wird sich nicht an dieses Gesicht erinnern, es gehört schon zu den unscheinbaren, kläglichen Gesichtern, die weggeschaut haben, sie sieht, dass es dieses Gesicht schon immer gab, sieht, dass es alle Gesichter schon einmal gab, dieses Gesicht, das von der ganzen Schöpfung zeugt, von der furchtbaren Energie der Sterne, dem Universum zu Staub zerschmettert und immer wieder aufs Neue in gestörter Schöpfung umgemodelt wurde.“

im Klappentext: „…das Buch der Stunde“. Und ja: das haben die Klappentexter recht. Und nicht nur inhaltlich brisant, auch sprachlich auf dem Punkt.

Eben lese ich diese Stelle und muss an die vielen Gesichter denken, die einem im Leben so begegnen, und derer ich auch nicht müde werde, sie immer wieder interessant zu finden und sie zeichnerisch zu begreifen. Und ja.

Zitatewitsch

Lese ich eben auf facebook. Ein Kommentar von Joann Sfar.

 

Jeunes artistes, si vous gardez en tête que le dessin est une écriture, vous survivrez à toutes les révolutions technologiques. Ne lâchez pas le crayon et le papier. Choisissez les outils les plus simples: une plume noire pour le trait et faites tout à la main. Plus que jamais le public est avide de voix humaine votre trait c’est votre voix. Quarante ans a subir du sample et de l’autotune et je n’ai jamais autant aimé Brassens. Avoir peur des inventions technologiques c’est un aveu de faiblesse, je crois. Nous ne sommes pas en compétition avec les machines. Au contraire elles renforcent notre singularité…à condition qu’on ait quelque chose à dire. Travaillez votre voix et votre trait. Le „ce qu’on te reproche, cultive-le“ de Cocteau.

Was man Dir vorwirft: kultiviere es!

 

„Nicht Provokation, nicht Widerstand, auch nicht Wohlklang oder Artistik könnten die Kunst in unserer Zeit noch retten, sondern einzig und allein eine naive Absichtslosigkeit. ‚Ungeschützte‘ Äußerungen seien das Einzige, womit wir noch Aufmerksamkeit gewinnen könnten. Es gehe um das nackte persönliche Statement. Lachenmann meinte, vielleicht sei dies das Ende der Avantgarde, der ‚Großen Kunst‘. Alle elaborierten Themen, alle Virtuositäten und Formspiele, alle Erfolgsrezepte, mit denen wir uns schützen könnten, seien im Grunde wertlos geworden. Wir seien verletzbarer denn je und täten gut daran, das – fern von jeglicher Koketterie – auch zu zeigen.“

Edgar Reitz in „Filmzeit Lebenszeit“

Zitatewitsch

Doris Dörrie schreibt in ihrem Büchlein „LEBEN-SCHREIBEN-ATMEN – eine Einladung zum Schreiben“ ein paar Dinge, die natürlich auch auf`s Zeichnen zutreffen können:

„Zu schreiben bedeutet, sich jeden Tag wieder aus dem kleinen, ordentlichen Garten mit gemähtem Rasen und Blumenrabatten herauszuwagen in den Dschungel. Dorthin, wo wilde Pflanzen wachsen und gefährliche Tiere umherstreifen. Dorthin, wo die Geschichten nicht mehr hübsch und ordentlich sind, sondern schillernd, giftig, schmerzhaft und wüst. Interessant ist nie die Beschreibung unseres schönsten Ferientags, sondern die des schlimmsten. Wir verbinden uns über die schlimmen Geschichten miteinander, nicht die hübschen. Über die, in denen wir nicht gut dastehen, nicht moralisch gehandelt haben, versagt haben, verletzt worden sind, gescheitert sind.“

Schlotterdeich

In der ZEIT vom 8.4.2020 ein Interview mit Peter Sloterdijk. Folgender Auszug. Including my new Lieblingswort.

Sloterdijk: Wir erleben ein großes medientheoretisches Seminar. Man erkennt, im Ausnahmezustand entsteht Monothematismus. Dann sieht man erst richtig, wie moderne Gesellschaften in ihren Stimmungen von Tag zu Tag gewoben sind. Dank der Medien leben wir in Erregungsräumen, die durch wechselnde Themen gesteuert werden. Themen sind Erregungsvorschläge, die von der Öffentlichkeit angenommen werden oder nicht. Dabei schießen die Medienmacher immer etwas Übertreibung zu. Denken Sie an die AfD-Aufregung im Lande: Sie ist ein Luxusthema für unterbeschäftigte Übertreiber. Denken Sie an die Me-Too-Welle: Sie hatte einen ernsten Kern, um den lagerten sich sofort die Übertreibungsunternehmen an. Denken Sie vor allem an den Terrorismus. Über den wurde zumeist im Modus der Halbernsthaftigkeit berichtet, man durfte und musste immer zusätzlich übertreiben. Ein Mann wird getötet, 82 Millionen sollen sich bedroht fühlen, die freiheitliche Demokratie wankt.

ZEIT: Sie meinen, die Medien verfehlen ihre Aufgabe, maßvoll zu informieren?

Sloterdijk: Aus der Sicht der Medien ist etwas, das passiert, nie schlimm genug. Man weiß ja nie, was wie schlimm ist. Das entspricht im Übrigen der klassischen Rhetoriklehre. Quintilian sagte: Bei Gegenständen, deren Bedeutung und Dimension nicht sicher bestimmt werden können, ist es besser, zu weit zu gehen als nicht weit genug.

ZEIT: Und jetzt übertreiben wir bei Corona?

Sloterdijk: Bei Corona erleben wir zum ersten Mal, dass die Anfangsübertreibungen durch die Geschehnisse eingeholt werden. Das ist ganz neu. Zuerst dachte man, die Medien schreiben die Dinge hoch, weil es ihr Job ist, zu übertreiben. Aber nein, heute ist eine nüchterne Beschreibung der Verhältnisse in italienischen, französischen, spanischen Krankenhäusern schlimm genug, um Nachrichtenwert zu haben; tendenziell ist es sogar zu schlimm für realistische Berichte. Wir zählen Leichen, für Übertreibungen ist kein Platz mehr. Die Medien würden jetzt lieber die Probleme verkleinern, statt zu dramatisieren. Die Zahlen steigen, die Bilder halten sich zurück. Sehr ungewohnt.

 

Und jetzt zu meinem new Lieblingswort: Themen sind Erregungsvorschläge! C`est ca, je crois. Wenn ich klug gewesen wäre, hätte ich gerne bei Schlotterdeich studiert. Aber so blieb nur die verborgene Karriere als Kritzelonkel.

Zitat

“ Für mich ist Design, wozu Menschen sich aufgrund ihrer Bedürfnisse entscheiden“, sagt Kraš. „Design ist nicht Dekoration. Design ist, etwas zum Funktionieren zu bringen. Design ist ein Denkprozess, das Lösen eines Problems:“

Ana Kraš im ZEIT-Magazin vom 2.4.2020

Und: „Und ich versuche immer Spaß bei der Arbeit zu haben. Wenn man Spaß hat, zweifelt man nicht. Man zweifelt nur, wenn man krampfhaft versucht, ein Statement zu machen.“

Zitatewitsch

Judith Polgár antwortet im ZEIT-Interview auf die Frage, was für sie Schönheit im Schach sei, mit der für mich schönen Antwort: „Schön ist das Unerwartete. Das, was nicht den Mustern entspricht und trotzdem funktioniert.“

 

Mi piace.

Judith Kerr

Letzte Woche in der Samstags-taz ein schönes Interview mit Judith Kerr, die vor allem mit ihrem Buch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ bekannt geworden ist. Ihr Vater war der Theaterkritiker Alfred Kerr. Sie selbst hat sich immer als Zeichnerin gesehen. Und tut dies auch noch heute, im zarten Alter von 95 Jahren. Sie berichtet davon, dass ihre Mutter ihrem Zeichnen kritisch gegenüber stand, seit sie versuchte, daraus einen Beruf zu machen. Es seien da immer diese Zeichner gewesen, die kein Geld hatten. Ihr Vater dagegen habe sie immer ermutigt, wenn sie mutlos war.: „…Ich habe ihm einmal gesagt, als es wieder nicht gutging: Warum mache ich das eigentlich, ich könnte doch mit meinen drei Sprachen gutes Geld verdienen. Und er hat mir gesagt: Wenn Du es nicht tätest, dann würdest du immer weniger gut von dir denken.“ Und sie kommt darüber hinaus zu dem Schluss: “ Für mich ist der Unterschied, ob man etwas außerhalb mehr als sich selbst liebt. Ich glaube, wenn ich nicht Zeichnerin geworden wäre, vielleicht hätte ich dann eine Religion gebraucht – God forbid, bloß nicht. Aber man baucht etwas, das größer ist als man selber, und für mich ist es das Zeichnen. Für meinen Vater war es das Schreiben. Dann muss man das auch tun, so weit wie möglich.“