Skizzenbuch und permanenter Ausstellungsraum von Klaus Harth
das jahr ist neu – die leute sind dieselben wie gestern.
sie fahren auto wie gestern, gehen wie gestern, keiner zappelt anders mit den armen als sonst.
luftholen, ausatmen, weiter so.
wir müssen kinder in die welt setzen, damit sie eine chance hat, besser zu werden:
eine idee, die seit mehreren tausend jahren nicht funktioniert.
du sollst nie ohne fallen gehen. Geh ohne hände, aber nie ohne fallen. Warte bis du ausrutschst und in die tiefe stürzt. Dich nicht mehr bewegen kannst, denn bewegung bringt den tod. Die krönung eines missglückten tags
Hier in München wimmelt es von Zahnärzten. Zahnarzt werden kann jeder, ist leicht verdientes Geld. Und offensichtlich gibt es hier auch ausreichend Bedarf. Wir blicken aus dem Hotelzimmer auf die Landshuter Allee. Schon früh morgens sind die Straßen voll von Zahnärzten in ihren großen Autos und Patienten in ihren kleineren Autos und öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Weg in ihre Praxen und auf die Behandlungsstühle. Implantate allerorten. Abends fahren alle wieder zurück. In ihre überteuerten Wohnungen mit ihrem überteuerten Abendbrot. Nachts ist es eher ruhig und dunkel. Vermutlich übernehmen diese Zahnärzte auch Aufgaben der Geburtshilfe und Buchhandlungen. Wir werden das gleich nachher noch nachprüfen.
ein künstlerkollege fotografiert ein afd-wahlplakat, auf dem gefordert wird, dass es keine öffentliche förderung von politischer kunst mehr geben solle. Ein kommentator schreibt dann, es gehe darum, keine öffentlichen gelder für künstlerische parteiwerbung auszugeben. Aha. Nenn mir jetzt mal einer (oder eine) bitte irgendein werk der letzten 30 jahre (wahlweise länger), das diese kriterien erfüllt. Mir fällt allenfalls Beuys ein, anfang der 80er, als er für die grünen kandidierte und mit dem legendären fehlversuch „wir wollen sonne statt reagan“ und dem ein oder anderen grünen-wahlplakat an die öffentlichkeit trat. Aber soll man dieses video jetzt als künstlerisches werk sehen? Und öffentlich gefördert war es wahrscheinlich auch kaum. Jedenfalls nicht auf dem weg, der hier kritisiert wird. Günter Grass hat sich für die SPD engagiert in den späten 60ern, vor allem für Willy Brandt stark gemacht. Klaus Staeck fällt mir ein, ok: deutsche arbeiter, die spd will euch eure villen im tessin wegnehmen! Ich bin jetzt seit einiger zeit künstlerisch unterwegs und habe auch einiges an ausstellungen, theater, filmen etc. gesehen in den letzten 35 – 40 jahren. holladiewaldfee. Ich kenne ziemlich viele menschen, die die unterschiedlichste kunst machen. Künstlerinnen und künstler sind individualisten. Eigenständige denker und handler. Sie sind von daher für parteipolitik selten gut zu gebrauchen. Was nicht heißt, dass sie oft den politischen strömungen näher stehen, die für freiheitliche grund- und menschenrechte einstehen. Wenn man so will, besteht die künstlerische tätigkeit aber vor allem darin, den eigenen blick auf die dinge, die eigene weltsicht, die eigene ästhetische empfindung zu formulieren und zur disposition zu stellen. Mit aller konsequenz und allem risiko. Ein maler, der angst davor hat, sich mit seiner arbeit lächerlich zu machen, braucht, nach Francis Bacon, gar nicht erst anzufangen. Individualismus war den gleichmachern, denkfaulen, führerbrauchern, despoten, kaisern und kaisertreuen (usw.) schon immer ein dorn im auge. Die forderung nach: kein geld für politische kunst ist also eine mogelpackung. Gemeint ist: kein geld für unbequeme individualisten. Sprich: kein geld mehr für störenfriede, sand-ins-getriebe-streuer, nachdenker, aus-der-reiher-tänzerinnen. Das ist die wahrheit. Kein geld für welche, die sachen machen, die wir nicht verstehen. Braucht doch keiner. Deshalb ist dieses plakat nur ein vorläufer des plakates, auf dem dann wieder stehen wird: kein geld mehr für lebensunwertes leben. Also: augen auf im straßenverkehr!
letztens auf dem spaziergang mit dem hündchen an einer pferdekoppel vorbeigekommen. hinter dem zaun zwei klitzekleine kläffer mit zähnen im gesicht, sich überschlagend vor verteidigungswut. so verteidigungswütend, dass sie anfingen, sich gegenseitig zu bewüten und zu bebellen und bebeißen, das hündchen auf der anderen seite des zaunes nicht erreichen könnend: die beiden kläffer eine art autoaggressives system, wo wie es ja auch autoimmunkrankheiten gibt. am selben tag morgens am bahnhof, der zug war zwanzig minuten verspätet, kam dann, von einem durchaus netten mann mit fahrrad sofort reflexhaft der satz, das sei ja mal wieder symptomatisch für ganz deutschland: nix funktioniere mehr. abgesehen davon, dass dieser zug das erste mal überhaupt verspätet war, seit ich ihn ab und zu benutze, nungut, sind wir mal nicht so, aber abends die kläffer: dies schien mit viel viel eher symptomatisch für deutschland: kläffer, die sich nicht zu helfen wissen und sich dann gleich mal selbst zerfleischen. mit dem hündchen, abends, konnte man einfach nachdenklich weiterziehen. kläff kläff und tschüss tschüss. nachtrag: heute morgen im wald, wo ich die vom fahrrad gestürzte frau fand: krankenwagen noch keine viertelstunde später da, alle fokussiert, nett, zielstrebig, hilfsbereit und dankbar. funktioniert halt einfach nix mehr in deutschland.
31.7.23 manchmal träume ich dermaßen intensiv von einer stadt, die dann z.b. völlig klar frankfurt ist, mit dem tatsächlichen frankfurt aber nichts zu tun hat. ich kann in die schirn gehen, oder ins städel-museum, die aber ganz anders aussehen als im original. Zum städel beispielsweise fährt eine straßenbahn. ich weiß das. ich weiß auch, dass ich da einfach nur zwei stationen weiterfahren müsste. schaffe es aber nicht. ich bekomme einfach nicht die kurve dorthin. es ist völlig unerklärlich. ich weiß, wie es dort aussieht, kann es aber nicht erreichen. warum nicht ist völlig unklar. klar ist aber, dass das frankfurt in meinem traum das einzig wahre frankfurt ist.
steht da letztens: was treibt sie morgens aus dem bett, will heißen: was treibt sie morgens an, aufzustehen, den tag zu begrüßen, sisyphos einen glücklichen menschen zu wissen? Wie lustig. Wir mittagsschläfer haben das problem gleich zweimal täglich..Zwei steine pro tag. Zwei berge. Auch wenn sie manchen nur wie hügel erscheinen.
ich befinde mich in einem stadium permanenter selbstreparatur:
zahntag – zahltag – wertermittlung
ich wage kaum, die sonne zu betrachten.
welche auch?
ach letztens: das minderwertgefühl
1 mehrwertgefühl plus 2 mehrwertgefühle minus 3 nichtmehrwertgefühle
wir bezahlen die nichtmehrwertsteuer
gerne oder nichtgerne
vermeiden den erdkontakt
vermeiden den wertkontakt
fremdwert
selbstwert
wertgefühl
wertvermeidungsstrategie
wertverneinung
wertverneigung
zahltag
schlusswort
wertversammlung
15.1.2023 10uHr18 bis 10uhr32 der erste text auf dem neuen rechner.
Wiederblöd. Morgens einen kuchen gebacken. Nachmittags einen laptop in betrieb genommen. Es regnet rein und alles andere ist egal. An mein fenster klopfen geht klar. In die stube fallen geht gar nicht klar. Ein weiher mit einem mit dem lineal gezogenen ufer. Ich komme zwar nicht zu spät, habe aber alle meine sachen vergessen. Ich habe die falschen klamotten an. Und nachher einen auftritt. Nichts geht mehr. Keine chance, die dinge zum guten zu wenden. Ich merke aber: es ist ein traum. Es ist ganz klar: es ist ein traum! Ich kann einfach aufwachen und alle probleme sind gelöst. Ich verlasse den traum und bin froh, auch wenn es ringsum dunkel bleibt. Ich schlafe beruhigt ein und lande fast nochmal in derselben situation. Wieder ist mir klar: es ist ein traum und ich kann wieder raus. Es gelingt nur nicht so gut wie eben. Wie oft kann man da rein und raus in und aus so einem traum?? zurück zu dem weiher: 1986 bin ich hier mal geschwommen. Zeitgleich zum damaligen fußball-wm-endspiel. Ich wusste, dass es stattfand. Ich wusste, dass ich mich im wasser befand und das wm-spiel irgendwo anders war. Hier schwimme ich und will nicht anders. Ich gucke zum mit dem lineal gezogenen ufer. Dort gibt es auch einen parkplatz, wo sich die autos mit ihren dorfjugendlichen einfinden. Es ist seit eh und je ein autofahrerdorf. Linealufer, bäume, büsche, autos, trinkende und rauchende junge menschen, gefangen in ihrer findungs- und vermehrungswut. N’est-ce pas? Auch gestern, satte 36einhalb jahre später, trifft sich dort abends die dorfjugend. Und Tom Cruise trägt höchstselbst Montserrat Caballé über den reißenden bach. Dazu braucht er kein tragedouble. Ich dagegen bräuchte ein weltaushaltdouble. Weil ich so empfindlich bin. Und weil die regentropfen das klopfen verweigern.
sie glauben nicht, was auf der hand liegt. Sie glauben nicht, was auf dem boden liegt. Sie glauben, was im dreck liegt. Sie glauben lieber das unwahrscheinliche, als das, was auf der hand liegt. Sie gehen nicht durch die tür. Sie rennen mit voller wucht gegen die mauer und sprechen: wusste ich doch, dass es hier kein durchkommen gibt. Ich kann nicht, also bin ich. Aber das hatte ich an anderer stelle schon mal erwähnt.
einen monat überlebt. einen monat überlebt. einen monat überlebt. Schon wieder. Aber diesmal war es nicht abzusehen. Canetti schreibt: Der wahre Kritiker, der sich an seinem Gegenstand verjüngt. Der falsche kritiker altert also an seinem gegenstand. Ich arbeite mich an meinem gegenstand nicht ab, um klüger und jünger zu werden, sondern um mich zu konsolidieren und zu altern. Was soll ich zu etwas sagen, von dem ich weiß, was ich dazu sagen möchte? Habt ihr einen grundsätzlichen gedanken zum thema zeit? Vierundzwanzig stunden unter einer langen stoffbahn immer wieder hin und her kriechen, während immer wieder die ein und selben drei töne gespielt werden. das wäre radikal. Was bedeutet form in der zeit? Ich stopfe mir immer mehr gedanken in den kopf, um jünger zu werden. Nicht um älter zu werden. Die bestätigung bringt den tod. Hinkriechen. Herkriechen. Hinkriechen. Herkriechen. Und schon wieder habe ich einen monat überlebt. Oktober, in diesem fall. Im november könnte es sein, dass ich wieder älter werde.
musik kann man auch ohne fragen ertragen. Schwimmen allerdings will gelernt sein. Atemzüge können gemacht werden, auch ohne, dass man sinkt. Ohne wunderlampe geht gar nichts (allerdings und die…). Auf keiner wiese herrscht ruhe, gebräunt wird nicht lautlos. Wir reiben uns an der einzig brennenden straßenlaterne und sehen die philosophen hinter den startlöchern. Wir wollen nichts mehr hören. Großes ohr und kleines ohr sind sich einzig einig. Man traut sich nicht ins wasser. Man steht an der kasse, vor der kasse, hinter der kasse. Der eintritt ist ein gedanke geworden. ein gedanke ist das gegenteil von gedankenlos? Wir wissen es nicht. Der freund fragt und die mutter sagt: natürlich darf er mit ins schwimmbad. Hauptsache er bleibt dumm und trinkt nachher brav seinen pfefferminztee mit chlorgeschmack. Wir stehen an der hecke und sind enttäuscht. Die katzen werden im see ertränkt. Ihre musik kann man nur mit fragen ertragen.
21.6.22 19uhr13 bis 19uhr17
die zwölf baustellen des klaus h. Mein vater bringt mich mit dem auto dorthin, wo ich gebracht werden möchte. Das heißt: eigentlich will er mich hier noch nicht herauslassen. Ich sage aber: ich will hier heraus. Von hier aus ist es nicht mehr weit. Eine schmale straße, wenig verkehr, links alte etwas heruntergekommene mietshäuser, so drei bis vier stockwerke. Keine frische farbe dran. Ich steige aus. Und trage zwei große, etwas bröselige kastenförmige kuchen vor mir her. Sie sehen ein bisschen aus wie große schwämme. Ich will in die kleine wohnung, die ich hier immer noch angemietet habe, wo ich aber kaum noch bin. Ich habe keinen schlüssel dabei. Die haustür steht glücklicherweise offen und ich denke noch: drin bin ich schon mal, jetzt muss ich nur noch sehen, wie ich in meine wohnung komme. Treppe hoch und alle wohnungstüren stehen offen. Hier wird scheint`s frisch renoviert. Meine nachbarin (und so eine art hausmamsell) kommt auf mich zu, ich falle auf der letzten treppenstufe vorwärts und mein kuchen fällt und bröselt ihr entgegen und ich sage noch: gell, so kennen sie mich. Und sie sagt: hätte es mir nicht anders vorstellen können. Wo waren sie all die jahre? In meiner wohnung kleben frische tapeten. Keine möbel.
laotse weiß, wovon er spricht.
Heute 3 ameisen nicht getötet!
„je mehr scharfe waffen im volk,
um so wirrer der staat“ (57)
darüber nachgedacht:
in der „dunklen hütte“ bei twin peaks
wird deutsch gesprochen.
darüber nachgedacht:
ob die wahl des 11. september
für die anschläge u.a. auf die twin towers
ein perverser reflex auf die notfallnummer
der amerikander war: 911?
laotse:
„wer weiß spricht nicht,
wer spricht, weiß nicht“ (56).
wäre laotse als mitglied eines amerikanischen parlaments
denkbar?
15.6.22 11uhr10 bis 11uhr15
papageien sind die besseren maler! Sie tragen die farben bereits mit sich! Schweine können alles. Finden ihren weg in die zeitung, wenn man ihnen einen pinsel zwischen maul und zunge klebt. Nicht so der papagei! Er findet zwar auch den weg in die zeitung, aber aus eigener kraft! Das kann man ja mal machen! Das kann man ja einfach mal probieren! Wir löschen eine figur und schon toben die menschen vor begeisterung. Extrabunt. Papageien haben einen vorteil: selten passen sie in einen käfig, die einfach selten groß genug wären. Sie sitzen auf einer stange. Dürfen zwar nicht frei fliegen, kennen sich aber aus. Schön gefärbt ist halb gewonnen. Und den termin bei der substanzlehrerin haben wir schon vor jahren bedenkenlos abgesagt. Dem papagei geht’s gut, und er will auch, dass es dir gut geht. Eigentlich könnte man dagegen gar nichts einwenden. Ein wenig bunter lebt sichs besser. Schnell weg mit dem schwarz-weiß-denken! Abgesagt wird nie was. Und wir tragen das zwei-euro-stück unter unsrer vogelzunge.
26.5.22 18Uhr35 bis 18uhr41
gestern gehe ich irgendwohin und die menschen kennen mich. Wir sagen du zueinander. Andere sagen auch du zueinander, liegen sich aber auch in den armen und erhoffen sich förderung. Mir ist das zuwider. Wer plaudert plaudert. Wer fördert fördert. Es fördert also einiges zu tage, was ich lieber nicht gewusst hätte, aber sowieso schon gewusst habe. Blöd jetzt. Ich bin kein menschenfreund, bin aber zu den menschen freundlich*. Keiner weiß, was sie denken, keiner weiß, was ich denke. Alle wollen das kleinere buch haben, in dem sie ihre gedanken notieren. Ich notiere immer meine gedanken. Ständig pausenlos. Ohne zu wissen was daraus wird. Ja das tue ich auch! Siehe hier: mein buch trage ich sogar hier in der hand. Mein buch ist aber kleiner! Alle wollen etwas kleineres sein. Alle sehen etwas in mir. Der sieht das in mir. Die sieht jenes in mir. Nur ich sehe nichts in mir. Manches sieht man auch besser nicht. Manches fragt man besser nicht. Ohren zu im straßenverkehr! Eine liste machen: zehn fragen, die sie besser nicht gestellt hätten.
(*langsam frage ich mich aber: wie lange noch?)
was unterscheidet einen entfernten hund von einem zu dicken pferd? ganz klar: die Nase. und das gebiss. Pferde riechen Äpfel. Hunde nicht.
11.12.21 9uHr28 bis 9uRh 31
das licht meiner stirnlampe trifft mit sicherer lichtgeschwindigkeit auf die bäume ringsum. Das macht ihnen nichts aus. Sie halten das aus, als ginge es sie nichts an und leuchten freundlich zurück. Dem licht macht es auch nichts aus. Das einzige, was dem licht etwas ausmacht: wenn es von einstein ausgerechnet wird. Kerzenlicht ist nicht langsamer als stirnlampenlicht. Nicht langsamer als flutlicht im stadion. Ich stelle mir vor: einstein, wie er abends an seinem schreibtisch neben der kerze sitzt und so lange die lichtgeschwindigkeit berechnet, bis die kerze erlischt.