Blödes Plakat

Es liegt am Plakat. Und am Titel der Ausstellung. Die städtische Galerie Neunkirchen, die mich ja nur selten mit Ausstellungen zu beglücken vermag, hat derzeit eine Sonderschau von Fritz Arnold. Einem Autodidakten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Und aus Neunkirchen! Das ist absolut sehenswert und war der eigentliche Grund, warum ich letztens den Schlenker zur Oberstadt hin machte. („…geh doch in die Oberstadt…“, aber in Neunkirchen nennen die das wirklich so). Parallel dazu läuft eine Ausstellung von Stefanie Gerhardt. Und tatsächlich findet sich dort das ein oder andere Stück spannender Malerei. Z.B. ein sehr kleines längliches Querformat. Präzise gemalt und doch unscharf. Nächtliche Szene, Wald, ein Baum im Vordergrund. Dahinter kauern, sehr klein, einige Menschen hinter einer kleinen Erhebung. Sofort schaltet mein Betrachterhirn auf Gethsemane. Aber das isses natürlich nicht. Das schwingt nur mit und das braucht es auch nicht. Ein sehr faszinierendes kleines Werk. Auch festgekrallt in meinem Hirn: der schlafende Schwan: Ein großes Bild, schwarzer Grund, darauf in weiß eine irgendwie ovale Form in Weiß. Diese wird strukturiert und als Schwan kenntlich gemacht nur durch die Struktur der in Ölfarbe gesetzten Pinselstriche. Sowas habe ich vor vielen Jahren auch mal probiert, Selbstbild auf weißem Grund. Aber bei Weitem nicht so überzeugend wie dieser schlafende Schwan, der seinen Hals an den Körper schmiegt. Sehr schön vor allem die oft auch sehr kleinen Bilder. „Mein erstes Kieselbild“ und „Mein zweites Kieselbild“. Hab ich die Titel richtig im Kopf? Das ist sehr fein beobachtet und auch gemacht. Dankenswerterweise wird diesen sehr kleinen Bildern (15×15, vielleicht 20×20 ?) an der Wand auch sehr viel Raum gelassen. Sie sind so präsent, dass sie auch eine große Fläche dominieren können. Gemalt ist das überwiegend Öl auf Alu. Manchmal sind die Titel gut (Kieselbilder, lapidarer Titel und eine unglaublich unlapidare Malerei, die sich daraus entfaltet), einmal allerdings hätte man sich gewünscht, man könne den Titel sofort wieder vergessen, weil er das Bild in seiner Aussage schmälert: Ein etwas farblich soft gehaltener Hase, der einen frontal anblickt, muss man nicht „mystical rabbit“ nennen. „Mystischer Hase“ klänge im Deutschen schon autsch. Wenn man es ins Englische überträgt, wird es dadurch not really besser. Warum die Schaukel (auch auf Englisch) „Swing“ heißen muss? Ein Titel voll von Überfluss. Ohne einen Titel, noch nicht mal „ohne Titel“, einfach nur das schaukelnde Kind in der Ausstellung: das wäre wirklich cool gewesen.  Ein Bild mit Nachtschwärmern (Motten um ein Licht, bzw. kleine sensible Pinselhiebe um einen hellen Kreis) ist auch ein sehr augenfangender Hingucker. Manches andere etwas spekulativ oder durchaus schonmal so oder ähnlich an anderer Stelle gesehen. Bei der ersten kleinen Landschaft musste ich z.B. an Susann Gassen aus Mainz denken. Ach doch: der Kalligraph. Sehr realitsisch auf sehr viel weißen Untergrund gesetzt: ein asiatischer Maler, der am Boden hockend eine Kalligraphie pinselt. Das überzeugt dann doch durch seine Klar- und verdichtete Einfachheit. Und kommt dadurch an asiatische Bildideen mit europäischen Mitteln doch sehr gut heran. Warum hatte ich aber keine Lust, mir diese Ausstellung überhaupt anzuschauen?? Nicht nur wegen der ein oder anderen Enttäuschung in letzter Zeit, wo für mein Empfinden zu oft zu sehr auf das schnelle Weggucken geschielt war: Wer allzusehr auf das Publikum schielt, kann natürlich nicht mehr ganz so klar hinsehen. Nunja. Wie kann ich eine Ausstellung nur: „kopfüber himmelwärts“ nennen und auch noch mit dem Bild eines vor einem Sternenhimmel schaukelnden Kindes illustrieren? Das Bild entstammt natürlich wirklich der Ausstellung. Ist aber im Original sehr klein (20×20?) und in dieser Größe sehr intensiv, fein gearbeitet und von daher weit weg von irgendwelchem Seelenkitsch. Auf Plakatgröße hochgepimpt und zusammen mit diesem Titel kringeln sich einem ja eigentlich eher die Zehennägel. Man sieht nur mit den Zehen gut. Solche Titel kann nur Wim Wenders! Das hinter die Ohren schreiben. Bitte! Ich hätte da ja tatsächlich was verpasst, wenn ich mich an Presse, Plakat und Website orientiert hätte.

fuchs ohne bau

Ich hab ja so ne Theorie: Schlussendlich kann ich heute problemlos das Gegenteil von gestern behaupten mit fast denselben Argumenten. Ich denke, dass hier viele innerlich sofort widersprechen möchten. Aber je länger ich dieses Erdenrund beschreite, desto öfter komme ich immer wieder auf diesen Trichter.

Wie auch immer. Jetzt hat ein Film im Max Ophüls Preis einen, bzw. drei Preise bekommen: Jugendjury, beste Regie und den Drehbuchpreis. Puh.

Ich hatte den Film nicht auf dem Schirm. Klang mir im Programmheft ein wenig zu simpel, zu klassischer Konflikt, wenig interessant. Bei der Preisverleihung dann ein Lob über das andere: zeigt uns eine Welt, die wir sonst nicht sehen, schafft uns Räume, dort wo die Räume eng sind, vielschichtige Charaktere und und und. Da dachte ich: guck mal, ob man den noch gucken kann. Klingt ja spannend. Vielleicht hab ich da ja echt ne Perle übersehen. Ging noch.

Ich weiß nicht, welchen Film die da gelobt haben.

Ich habe einen Film gesehen, dem ich kaum etwas abnehme. Dessen Problem mir zu sein scheint, dass er sich selbst und seine Charaktere nicht wirklich ernst nehmen mag. Keiner der – eigentlich mehr oder minder nur angedeuteten – Konflikte wird wirklich thematisiert und ausgetragen. Das einzige, was ich diesem Film abnehme sind die Gefängnisgebäude im Wiener Jugenstrafvollzug. Wenn das dort so aussehen mag, dann mag das dort so aussehen. Wenn es aber auch wirklich eher nach Erwachsenenvollzug aussieht.

Aber dass da ein, wie sagt man da?, vorgesetzter Gefängiswärter-Abteilungsleiter-Hansel relativ willkürlich über Einzelhaft, Einweisung in die psychologische Abteilung oder nicht entscheiden darf, grad wie es ihm gefällt, ohne irgendjemanden fragen zu müssen, dass der Neulehrer die in Flammen stehende Einzelzelle des sichtbar psychisch angeknacksten Mädchens, das offensichtlich nicht in den Strafvollzug, sondern in psychiatrische Betreuung gehört, was aber niemanden zu interessieren scheint (den Neulehrer übrigens auch nicht), selbst aufschließt, während der Aufseher versucht, das zu verhindern (häh? es brennt! da ist ein Mensch drinnen. Wieso laufen da nicht die normalen Notfallmaßnahmen?). Und noch viel mehr.

Ich sehe hier keine vielschichtigen Charaktere, sondern eigentlich recht lieblos und einfach gezeichnete Gestalten. Die bisherige Lehrerin, Modell: die Unkonventionelle, die abseits von Lehrplänen „ihr Ding“ macht, Maltherapien, die im Film darin bestehen, dass alle etwas malen oder basteln, ist ja ok, nennen wir es aber mal nicht Maltherapie bitte. Warum sie das macht? Ihre Ideen und Hintergründe? Bitteschön: Denk dir doch selber was aus. Der Neulehrer, der sich auf diese Stelle beworben hat, weil er eigentlich Musiker ist, aber über den Tod seines kleinen Sohnes nicht hinwegkommt, den er abends auf dem Weg zu einem Auftritt mit seiner Band alleine gelassen hat. Wie der Sohn stirbt, warum, wo der Fehler des Vaters lag, wieso so ein dahergelaufener Musiker eigentlich dafür geeignet ist, diese Stelle überhaupt annehmen zu dürfen: für den Film völlig uninteressant.

Es fällt ein Satz, der mir für den Film typisch scheint: Der Neulehrer sitzt zum erstenmal alleine vor der Klasse (weil die Altlehrerin zusammengebrochen ist) und sagt zu der Klasse: „Ihr dürft mich alles fragen!“ Einer der Schüler fragt ihn, weswegen er sich gerade auf diese Stelle beworben habe, wieso er gerade hier im Jungendstrafvollzug arbeiten wolle. Die Antwort, nach einem kurzen nachdenklichen Moment: „Das geht Euch nichts an.“ Fertig.

Und so tickt der ganze Film. Wir setzten mal ein paar angedeutete Konflikte in die Welt und das reicht dann schon. Braucht nicht weiter ausgearbeitet zu werden. Andeutung reicht. Pittoreske Momente, wenn die Altlehrerin zusammen mit dem Junglehrer in ihrer Wohnung eine komplette Tür mit Zarge und Mauerwerk rausklopft, auf dem Dach des Autos zur Gefängnisschule bringt und die Schüler durchschreiten lässt, als könne sie dies die Idee von einem Schritt in die Freiheit spüren lassen – nungut: Für die Altlehrerin gibt es ein wirkliches Vorbild. Einen Lehrer, den es gab und der tatsächlich die Schüler unkonventionell zu sich selbst geführt hat. Oder haben mag. Wissen wir ja nicht. Und der das mit der Tür tatsächlich so gemacht hat. Der Filmemacher wollte erklärterweise diesem Lehrer ein filmisches Denkmal setzen.

Der Film nimmt sich selbst nicht ernst. Und noch schlimmer: Er nimmt den Zuschauer nicht ernst.

Ich spüre nix von der Beklemmung hinter Gittern. Ich sehe Klischees von Gefängnis. Ich sehe Klischees von Unkonventionalität. Und ich sehe Hanseln von Gefängniswärtern.

Halt. Eine glaubwürdige Szene gab es dann doch noch. Die Mutter des Mädchens, das seinen Vater ins Koma geschlagen hat und die ganze Zeit über nur schweigt und unzugänglich ist, kommt – wie es scheint – zum erstenmal auf Besuch, um mitzuteilen, dass der Vater an seinen Verletzungen gestorben ist. Zum erstenmal sieht man Trauer im Gesicht des Mädchens, einen zaghaften, zarten und ernsten Entschuldigungs- und Sprechversuch. Die Mutter sagt: Du kannst ja nichts dafür, das sind die Teufel in Dir. Was das Mädchen zum kompletten psychischen Zusammenbruch bringt. Dieser Ausbruch war das einzig Berührende im ganzen Film.

Worauf aber wiederum niemand der Gefängnisleitung adäquat reagiert.

Zu viele Ungereimtheiten. Zu viele Unwahrscheinlichkeiten.

Und einen klischeevollen Schluss: Der Neulehrer findet endlich „zu seinem Stil“, wie man so schön sagt, indem er des nachts am Schlagzeug zuhause die Trauer über den Tod seines Sohns wegtrommelt (und man könnte jetzt zynisch einwerfen: warum hat er das nicht einfach schon früher mal gemacht? Der Film setzt keinen Grund, warum das gerade jetzt passieren soll. Und dass es nachts passiert und alle Nachbarn das Licht anknipsen, gehört nun wirklich zu den ganz alten Tricks aus der filmischen Klammottenkiste), um dann am nächsten Tag mit der Klasse ein gemeinsames Trommeln abzuhalten, was natürlich alle ganz geil finden, geiler als Malen vielleicht sogar. (geht ja auch eh nicht mehr, weil der Aufseherhansel nach dem Selbstmordversuch des Mädchens zur Bestrafung der Lehrer die Farben weggesperrt hat). Die Altlehrerin fährt derweil mit ihrem Motorrad (sic) (bisher ist sie immer schön brav Lehrerinnenvolvo gefahren) ans Meer und guckt in die Freiheit. Aua. Filmklammottenkiste mindestens Nummer zwei.

Bei der Preisverleihung sah man diesen wirklichen Lehrer im Hintergrund sitzen. Er saß immer nur im Hintergrund mit seinen langen weißen Haaren und hat eine Zigarette nach der anderen gequalmt. Er sah wirklich so aus, als hätte er was zu sagen. Zumindest gehabt. Der Film hatte dies nicht.

Ist natürlich auch blöd, dass ich zuhause grade einen Film gesehen hatte, der sich, seine Protagonisten und auch den Zuschauer ernst nimmt. Der wirklich in präzisen Bildern ein Drama erzählt, das sich nicht löst und zuspitzt und kaum auszuhalten ist. Mit präzisen Bildern und Details arbeitet. Und ein wirklich einprägsames und geniales Schlussbild findet. Kein Ausweg. Nirgends. Das kann Film tatsächlich nämlich auch: LOVELESS von Andrei Swjaginzew.

Den Drehbuchpreis für FUCHS IM BAU verstehe ich dagegen null.

kritik der kritik (wovon man nicht schweigen kann, darüber muss man sprechen)

Es schreibt Eva-Maria Reuther im Trierischen Volksfreund:

„Transposition 2“ (Verschlüsselung) heißt die Schau, die bis zum 27. April zu sehen ist. Verschlüsselt ist Kunst grundsätzlich. Wie hier freilich verschlüsselt wird, ist weitgehend vordergründig und schlicht in der Bildsprache. Im ein oder anderen Fall bleibt es bei Fleißarbeit, so wie bei Vera Kattlers nach dem Motto „Was fliegt denn da?“ zum vielteiligen Wandbild arrangierten Papierarbeiten „Vom Sammeln des Flügelschlags“. Ein ausgesprochener Pessimist scheint Ulrich Behr zu sein, der 53 niedliche hölzerne „Pistoletten“ nach Mobile Art im Raum baumeln lässt. „Pistoletten für das Selbst“ heißt die Arbeit. Das reicht weder für Zeitkritik noch als ironische Brechung, höchstens als Weltschmerz im Life Style Format. Ludwig Schmidtpeters Installation „Balconia Export“, die den exotischen Charme des heimischen Balkons feiert, wirkt wie aus der Wohnzeitschrift. Das Atelier als Denkraum und Labor präsentiert Klaus Harth mit seiner „Atelierhängung“ aus 61 Arbeiten auf Papier. Mit ihren bisweilen pompösen Kommentaren muten die Blätter allerdings eher wie ein an die Wand gehängter Zettelkasten an. Ein absoluter Lichtblick in dieser Schau sind dagegen Anne Harings schöne, der Form und der Materialästhetik verpflichtete Plastiken aus Papier und Zellstoff. Und auch Claudia Vogels klassisch monochrome Arbeiten, in deren Stille sich eine lebhafte Binnenstruktur verbirgt, machen die Schau sehenswert. Einleuchtend präsentieren sich auch Susanne Schmidts „Lichtinszenierungen“. Neben den Künstlern in der Tufa sind in der Galerie Junge Kunst Arbeiten von Petra Jung und Leslie Huppert zu sehen.

Ach ja, normalerweise sollte man über sowas ja locker und entspannt hinwegschauen. So wie die Rezensentin locker und entspannt über die Arbeiten hinweggeschaut zu haben scheint. Da scheint jemand mit einer gewissen Erwartungshaltung in die Ausstellung gegangen zu sein, die dann relativ schnell enttäuscht wurde. So kann man sich natürlich auch Ausstellungen anschauen. Man kann aber auch, im klassischen Sinn des altgriechischen αἴσθησις aísthēsis „Wahrnehmung“, „Empfindung“, woher sich das Wort Ästhetik schließlich ableitet, erst einmal hinsehen, wahrnehmen, beschreiben und dann interpretieren und bewerten. Machen wir es aber kurz, so wie es auch in der Kritik kurz gemacht worden ist: Vera Kattler = Fleißarbeit und fertig. Wenn man hinschaut, dann sieht man aber zweierlei, nämlich einerseits die sensible Vorgehensweise auf jedem einzelnen Blatt. Eine Sensibilität im Kleinen und Individuellen sozusagen. Und desweiteren das Übertragen dieser Sensibilitäten in die Zeit, die sich hier als Masse von sehr ähnlichen, aber doch niemals gleichen Blättern widerspiegelt. Ich denke mal, auch Hanne Darboven wäre für die Rezensentin eine Fleißarbeiterin. Weiter im Text: die Arbeit von Ulrich Behr als formal belanglos abzutun, weder als Zeitkritik noch als ironische Brechung tauglich, halte ich auch für einen Schnellschuss, wenn man das in diesem Zusammenhang so sagen darf. Die als Handschmeichler daherkommenden, schon durch Haptik und Geruch sehr sinnlich wirkenden hölzernen Formen, die sich als Pistoletten entpuppen, Holzspielzeuge der Waldorfpädagogik anklingen lassen, und sich unentwegt drehend gegen und miteinander positionieren, wären mir als anbivalentes Spiel mit all diesen Bezugsfeldern durchaus vielschichtig und andeutungsreich genug. Man ertappt sich dabei, dass man sie in die Hand nehmen will (und es auch tut) und darüber erschrickt. Man erinnert sich, wie man als Kind an Fastnacht mit Pistolen gespielt hat und es heute dann doch bedenklich findet. Oder vielleicht nicht? Muss ja auch nicht alles gleich Zeitkritik und ironische Brechnung sein, erinnere mich auch nicht, dass das irgendwer so benannt htte. Weiter: Hätte die Rezensentin Arthur C. Danto gelesen, dann wüsste sie, dass nichts unbedingt das sein muss, nach dem es aussieht: eine Brillo-Box und eine nachgebaute Brillo-Box sind nicht dasselbe, auch wenn sie formal keinen Unterschied machen. Ein Fettstuhl von Helaine Sturtevant ist nicht der Fettstuhl von Beuys und hat auch eine andere inhaltiche Bedeutung, sieht aber genauso aus. Und ein nachgebauter Balkon ist halt eben keine Verdreidimensionalisierung einer Abbildung aus einer Wohnzeitschrift. Gut findet sie dagegen alle Arbeiten, die man relativ schnell ohne näher hinzusehen auch als gut empfinden kann. Was die Arbeiten ja nicht schlecht macht. Klassisches und grundsolides Arbeiten mit Form und Material, dagegen ist nichts zu sagen, das kann dann aber auch eine durchschnittliche Rezensentin ohne näher hinzuschauen gut finden. Was meine eigene Wenigkeit angeht: Mit dem Begriff des Zettelkastens kann ich ganz gut leben, was meine kleinen Texteinschübe „pompös“ macht, bleibt mir aber ein wenig unklar. „Die Überprüfung des Dorfplatzes“ ist ein pompöser Titel?? „Aus dem Leben des Schnürchenhalters“? Hä?

Das reicht jetzt auch. Laut Canetti gibt man ja keine Ruhe, bis man einen erhaltenen Stachel weitergegeben hat. Ich gebe ihn hiermit einfach mal ein bisschen zurück.

jetzt, 2017

Unter www.utethiel.de findet sich unter dem Reiter „aktuell“ ein Projekt, das ich der näheren Betrachtung unbedingt anempfehlen möchte. (Was ich zum Start des Projektes aber, glaube ich, auch schon mal getan habe).

Parallel zur documenta in Athen und Kassel stellt Ute Thiel dort für jeden Tag ein Foto ein. Parallel dazu finden sich mit der Zeit auch Zitate und Texte.

Eben nach Mittagschlaf den Rechner angeschaltet, obwohl ich mir eigentlich einen Mokka machen wollte.
Und dann ganz lange im „jetzt, 2017“ hängen geblieben.
Vom letzten Eintrag bis zum ersten Eintrag rückwärts Fotos gesehen, Texte gelesen.
Eigentlich fehlen mir die Worte, das auszuloten und meine Begeisterung angemessen auszudrücken über das, was hier gelingt.
So beiläufig all diese Themen anzukicken.
Von der alltäglichen Beobachtung (und hier halten sich dann bildnerische und sprachliche Reflexionen in der Waage) zu Profundem vorzustoßen, und dann wieder den Schlenker zurück zum Abendessen mit MC Escher.
Da kann man lesen und gucken und nachdenken und hängenbleiben und hat eigentlich gar keine Lust mehr, den Rechner auszuschalten.
Man wünscht es sich als Buch, damit man es auch im Liegen lesend und betrachtend genießen kann.
Natürlich ist es gut, dass man weiß: geht die documenta zu Ende, dann findet auch dieses Projekt seinen Abschluss.
Das ist, denke ich, wichtig.
Aber man könnte da auch ewig zuhören, zusehen und mitlesen.
Bei all den Fragen, was nun wichtig ist oder unwichtig, bedeutend oder unbedeutend: hier ist etwas, was zumindest mich berührt, und ich könnte mir vorstellen, dass das auch anderen so geht.
(In meinem Geschimpfe über die diesjährige Landeskunstausstellung habe ich rumgemotzt über Kunst, die nach Kunst aussieht. Und natürlich steht die Gegenfrage im Raum: was kann es denn anderes geben? Ich finde, dieses Projekt von Ute Thiel ist ein solches, für mich gelungenes Beispiel: sieht aus wie eine Sammlung von Fotos, teilweise sogar Schnappschüssen und ein paar Texten dazu, wenn man aber hinguckt und liest und es kapiert, dann entsteht hier große Kunst, beiläufig, aber tiefgreifend, leicht und bedeutend, schöpfend aus Beobachtung, Erfahrung und Leben.)

kritik

Uwe Loebens „FRESSEN“ im Saarländischen Künstlerhaus.

Uwe Loebens ist einer der wenigen saarländischen Künstler, die sich was trauen. Im Vergleich stimmt das sogar. Allerdings sieht Uwe Loebens schlecht. In der Tat. Das heißt: Wenn er einem auf der Straße begegnet, dann macht er meist ein ausgesprochen verdrießliches Gesicht, um das mal potitiv auszudrücken. Er zieht eine Fresse, so könnte man das etwas weniger freundlich ausdrücken. Viele fürchten ihn wegen dieser Äußerlichkeiten und ob seiner Kommentare zu Ausstellungen von Kolleginnen und Kollegen. Und der Titel FRESSEN bezieht sich nicht auf die Tätigkeit der Nahrungsaufnahme. Das schlechte Sehen führt dann, ebenso wie FRESSEN als Nahrungsaufnahme zu den Kernproblemen dieser Ausstellung. Hier hat jemand ein festgefügtes Bild von der Welt (kein nettes und freundliches, was ja auch im Anbetracht der Welt durchaus nachvollziehbar ist), das er vor uns ausbreitet: Sehet her wie schlecht doch alles ist! Alles Arschlöcher und FRESSEN! Und DU auch! Nur ist dieses Weltbild bei Uwe Loebens seit vielen Jahren unverändert dasselbe. Und dabei völlig ungetrübt von durch Beobachtung der Wirklichkeit abgeleiteter Erkenntnisse. Das erinnert einerseits ein bisschen an Stammtisch. Und andererseits gehe ich aus der Ausstellung und bin nachher so klug als wie zuvor. Hier kotzt einer sein Weltbild raus. Immer wieder und immer wieder. Vomitismus. Und: Kennst du ein Bild, kennst Du alle. Wenig interessante Erfindungen, viel fast einfallslos zu nennende Wiederholungen. Klar: Es ist ja auch immer dieselbe Kotze einer einmal vor Jahren gefressenen Weltverachtung. Wenn ich aber jemandem beim Kotzen zugucke und immer nur dieselben Brocken kommen, dann ist das tatsächlich nur mäßig beglückend. Man will dann schon jemand wirklich leiden sehen. Und auch das passiert hier in keinstem Fall. Das wär wenigstens was: wirkliches Rausgekotze! Extase! Wut! Das Rausgewürge kommt dann doch alles in allem ästhetisch ein wenig zu geleckt. Gedankliche Bewegung? Fehlanzeige (wer denkt schon beim Kotzen?). Wirklicher Hass und wirkliche Wut? Fehlanzeige. Dafür ist die Haltung des Anklagenden, der sowieso schon vorher weiß, wie die Welt funktioniert, allzu wohlfeil. Dann vielleicht doch nur Illustrationen einer unverbrüchlichen Weltsicht? Uwe leidet an uns, das wird klar, aber was jetzt?

Ich muss an die Bemerkung von Horst Janssen denken, der Goyas „Desastres de la Guerra“ heraushebt, weil sie, wenn ich das halbwegs recht verstanden habe, eben nicht plakative Antikriegspropaganda sind, sondern von der Beobachtung leben, vom Gesehenen, das mit  zeichnerischen Mitteln dargestellt und verarbeitet werden muss. Ein eher absichtsloses Tun, das die Schrecken tatsächlich zeigt und keine absichtsvolle Zurschaustellung.

FRESSEN begegnen einem tatsächlich jeden Tag eine Menge auf der Gasse. Aber allein schon der Titel der Ausstellung zeigt die Überheblichkeit des festgefügten Feind- und Weltbildes.

Blatt 22 fand ich übrigens interessant. Hier passiert formal etwas mit dem Gesicht, das den Blick ein wenig festhakt und bannt.

Uwe Loebens traut sich was. Indeed. Aber vielleicht will er dann doch, alles in allem, zuviel Kunst machen. Und er denkt zu wenig.

Und er guckt nicht hin. Er will nicht die Welt verstehen, sondern sie uns erklären.

 

jahresrückblick – 1

Das mit Abstand unmotivierteste und uninspirierteste Buch, das mir (in diesem Jahr auch eine Neuerung: ich bin nämlich seit diesem Jahr zum erstenmal in meinem Leben mangels ökonomischer Mittel zum Bibliotheksleser geworden) in diesem Jahr in die Hände gefallen ist: Unruhezone von Jonathan Franzen. Die einzig interessante Passage darin ist die, wo er sich über die Cartoons von Charles M. Schulz auslässt. Das ist wirklich interessant und teilweise erhellend. Der Rest ist Schweigen. Da stelle ich mir einen sehr amerikanischen Durchschnittsmenschen vor, der eine sehr amerikanische Durchschnittsjugend verlebt hat und ziemliche Durchschnittsdinge getan hat. Vielleicht fängt man manchmal auch einfach mit dem falschen Buch an.

titel-bild-kritik

Heute morgen auf der ersten Seite der Saarbrücker Zeitung das Foto eines niederländischen sogenannten Supermodels, das am Strand Müll aufsammelt und obdessen gelobt wird. Dieses Foto zu betrachten ist recht lohnenswert, denn es zeigt den Lug- und Trughudeleicharakter der abgebildeten Wirklichkeit. Das Model lächelt uns an, hat eine kleine Papiertüte mit etwas farbigem Abfall darin. Das ganze wirkt so niedlich, dass man sich kaum vorstellen kann, das man mit so einer Tüte mehr als fünf gedankenlos hingeworfene Banananschalen aufsammeln kann. Außerdem wäre das Papier auch ratzfatz durchgeweicht (man bedenke: Strand). Zweitens: Das Model lächelt den Betrachter an und hat die rechte Hand am Boden, als wäre da was zum Aufsammeln: isabernicht! Da ist nix! Guck hin!! Absolut niente!!! Da ist nur eine Hand am Boden. Und die greift noch nicht mal nach irgendwas. Hängt da nur so rum. Drittens: Der ganze Strand ist komplett abfallfrei. Entweder hat die Gute schon mehrere Stunden fleißg gearbeitet (siehe aber auch: kleine Papiertüte) oder das ist jetzt wirklich eine Stelle, wo man fix fertig ist. Viertes: In diesen Schuhen und in diesem Kostümchen würde ich noch nicht mal bei schönem Wetter am Strand spazieren. Fünftens: Verarschen können wir uns selbst.

Wie hat mal ein höherer technischer Abteilungsleiter der Mainzer Allgemeinen Zeitung (für die ich mal knapp über ein Jahr als Reprofotograf gearbeitet habe) zu mir gesagt: Bei größeren und guten Zeitungen gibt es so etwas wie Bildredakteure.

Muss ja nicht jeder haben, aber ein wenig gedankenvoll bei der Arbeit sein und nicht auf der ersten Seite Müll-Fotos verkaufen, das wäre schon auch mal was. Lustig war`s auf jedenfall anzuschauen. So engagiert sich ein bekanntes niederländisches Model für den Umweltschutz.

Und jetzt Computer ausgeschaltet, in den SUV gesprungen und in den Bio-Markt zum Einkaufen! Schließlich ist Samstag.

kritik

Andrea Neumann in Neunkirchen. Was hab ich mich so schwer getan mit dieser Präsentation. Zwiegespalten. Einerseits geht man da durch und denkt: was für eine geile Malerei, Auflösung der Formen und und und. Und andererseits bleibt es schal und macht mich fast wütend: um was geht es hier eigentlich? Du gehst durch und nichts bleibt haften. Ich für meinen Teil werde sogar fast wütend, weil die Bilder dich anlügen, sie tun so, als ginge es um etwas, aber es geht eigentlich um nichts, außer um malerische Effekte. Cathrin Elß-Seringhaus von der Saarbrücker Zeitung lobhudelt bis zum Umfallen. Sie mag das: Projektionsflächen für den Betrachter, die Dich optisch umschmeicheln und somit nicht den Hauch eines Gedankens fordern oder sogar dich als Betrachter fordern. (Vielleicht ist das auch falsch beobachtet: Vielleicht sucht sie ja auch Bilder, die es ermöglichen, sich weiter an den eigenen,sowieso bereits vorhandenen Gedanken und Beobachtungen aufzugeilen, sich bestätigt zu fühlen, anstatt vielleicht auch mal ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden…) Vielleicht ist das der ideale Ausdruck unserer Zeit? Ich bekenne mich zu gar nichts, alles ist mir Mittel zum eigenen Spiel, aber eigentlich nehme ich die Dinge nicht ernst. Musik als Klang-Design. Kunst als Kunstdesign. Dabei funktioniert es sogar teilweise, wenn man sich ein beliebiges Bild herauspickt und sich den Rest der Ausstellung wegdenkt. Ein einzelnes Bild, sich vorgestellt in einem Museumskonzext mit anderen Werken anderer Menschen: da kann ich mir sogar denken, dass dann das einzelne Bild funktioniert. Aber wenn sie alle zusammen hängen, dann nehmen sie sich gegenseitig was, sie eliminieren sich, die Masche wird deutlich und alles ist an der selben Nadel gestrickt. Kein Wagnis, keine existientielle Wucht, kein Mut zum Bruch: alles ordentlich gemalt und ohne Risiko. Meine Begleiterin hat es schön auf den Punkt gebracht, wo ich wochenlang mit Worten und Sinnsuche hadere: „Eine tolle Malerin, aber sie traut sich nix. Soviel vergeudetes Talent.“

So ein bisschen die Xavier Naidoo der saarländischen Malerei.

(Und dann hat man hier so Leute wie Kurt Emser zum Beispiel, die malen, weil es ihnen um etwas geht, und die bei allen Ausstellungshäusern gnadenlos abblitzen.)

Lang lebe die Kreativwirtschaft!

augenwischen

Es gibt Musik, die verklebt einem so die Ohren, dass man nachher dringend Albert Ayler hören muss oder DEAD WEATHER. Irgendwas, was die Ohren wieder freispült.

Und sowas gibt es auch in der Malerei. Toll, supertoll gemalte Bilder, die einem aber das Hirn verkleistern, die dazu noch so tun, als ginge es um etwas, aber es geht um nichts als Malerei. Das mögen die Leute, denn darin kann man prima schwelgen. Man bekommt was geboten. Und wenn man selbst was im Kopf mit sich rumträgt, dann bietet es prima Projektionsflächen, um alles darin sehen zu können, was man gerne drin sehen möchte. Sogar versteckte Bösartigkeiten und Gesellschaftskritik.

Großartig. Groß und artig. Es bleibt die Erinnerung an großartig gemalte Malerei aber kaum ein Bild bleibt hängen. Ich darf so bleiben wie ich bin. Was will man mehr.

 

unser dorf spielt kunst

man nehme einen maler in einem kleinen dorf. überall gibt es kleine dörfer und irgendwo gibt es immer einen maler. am besten nicht zu verschroben, sondern einer, der sich abbildenderweise mit dem lebens- und arbeitshorizont der eingeborenen bevölkerung auseinandersetzt. zu lebzeiten hält man ihn vielleicht für ein bisschen irgendwie, aber da er ja sachen malt, die man, und auf denen man sich vielleicht sogar selbst, wiedererkennen kann, kann er sogar manchmal die wurst mit einem bild bezahlen.
so lebt er vor sich hin und malt und eigentlich interessiert sich niemand wirklich für ihn und seine bilder.
vielleicht hat er ja auch noch einen richtigen beruf.
nun stirbt der maler irgendwann und eine menge zeit geht ins land.
und so wie man gerne dorffeste feiert und in den siebzigern all über all „unser-dorf-spielt-fußball“ turniere stattfanden, so ist auch in den köpfen der lokalpolitik langsam das wort „kultur“ in die ohren gekrabbelt und bahnt sich seinen weg in die hirne. kultur. aha. was könnte das denn sein? weiß nicht so genau, aber wenn wir hier kultur hätten, dann könnte es bestimmt auch nix schaden. hatten wir da nicht mal einen, der bilder gemalt hat, die man sich sogar ansehen kann? lebt nicht mehr und kann sich auch nicht mehr wehren. kann man also verwenden.
man sucht und findet und nicht nur der metzger hat noch ein bild im hinterstübchen versteckt.
ein großer sohn der stadt, ähem des dorfes. und auch beim bäcker hat sich das ein oder andere angesammelt.
da müsste man doch was tun?!
da kann man doch was machen, oder?
man gründet eine stiftung, findet verbündete aus den kreisen der ortsansässigen kunsthistoriker (im laufe der zeit hat immer mal wieder jemand studiert und wie praktisch, dass es da im nachbarort tatsächlich jemanden zu finden gibt).
kunsthistoriker hat tatsächlich verbindungen, beantragt und bekommt geld vom ministerium und man macht ein event.
die heimkehr des verlorenen sohnes. späte ehrenrettung einer jahrhundert-begabung.
damit das alles hand und fuß hat, denkt man sich noch ein rahmenprogramm aus, kunstpreis, musik, vorträge, gespräch mit den preisträgern.
so geht das. prima. schnell abgegriffenes geld. selbst die sich selbst für so unbestechlich haltendene ex-schwerkritikerin der landesüblichen tageszeitung lässt sich vor den karren spannen und lobt dinge, die sie sonst in der zeitung als hausfrauenmalerei zerissen hätte. leichenfledderei. da wird plötzlich jemand gerühmt, den man zu lebzeiten gar nicht bemerkt hatte. aber ein paar orte weiter gibt es sogar seit jahren bereits ein eigenes museum für einen maler, der, ortsgebürtig, in den dreißiger jahren in paris picasso mal von weitem gesehen und vielleicht sogar zugewunken hat. reputation genug.
gesammelt werden kann alles. gelobhudelt werden kann alles. aber hier wird falsches spiel getrieben, werden dinge unter einem falschen etikett verkauft. unser dorf spielt kunst. kann man machen. ist ja auch alles gar nicht so schlimm. jeder darf seinen spaß haben. nur lügt euch nicht selbst in die taschen. und verkauft uns nicht an anderer stelle was völlig anderes.

Sabine Ostermann

Neunkirchen/Saar hat seit einiger Zeit neue Räume für die Städtische Galerie. Datt Janze nennt sich nun KULT, darüber kann man streiten, stört aber auch nur bedingt in seiner gewollt zeitgeistigen Originalität.

Dort werden seit Mai Arbeiten von Sabine Ostermann gezeigt. Wir haben in den frühen Neunzigern zusammen in Mainz studiert.

Sie zeigt Linolschnitt-Arbeiten, die in einigen Exponaten tatsächlich gedruckt und anschließend mit Ölfarbe überarbeitet wurden. Daneben aber auch Arbeiten, wo die geschnittenen Platten mit Alkydfarbe be- und überarbeitet wurden. Es entstehen so reliefartige Bilder einer großen farbigen und plastischen Intensität.

Das ist aber nicht alles.

Die Bilder sprühen vor bildnerischen Einfällen. Figuren, die bestimmte, scheinbar alltägliche Dinge tun, die aber wieder mit anderen Dingen kombiniert oder farblich auf eine bestimmte Art und Weise gefasst sind, die das Ganze auf eine weitere, bedeutungsvollere Ebene hebt.

Ich war heute zum zweitenmal in der Ausstellung und habe wieder neue Einzelheiten und Zusammenhänge entdeckt.

Und sie bedient auch das, was mir oft an malerischen Erzeugnissen fehlt: sie sind nicht nur malerisch lecker, sondern man merkt: da denkt auch jemand über die Welt und ihren Zustand nach und vermag das bildnerisch zu fassen.

Hin nach Neunkirchen! Die beste Ausstellung, die ich dort je gesehen habe. Und wahrscheinlich auch die sehenswerteste Ausstellung derzeit hier überhaupt in der Gegend.

Schön gefärbt, aber weit weg von jedweder Schönfärberei.

http://www.sabine-ostermann.de/

 

denk

Gestern abend in der Aufführung des Schauspielclubs des Saarl. Staatstheaters. Felicia Zeller: „deutsches hysterisches museum“. Premiere in der Inszenierung des Schaupielclubs.
Wie immer bei Laienspielgruppen: Man hat Lust am Spielen, aber nur die wenigsten können es. Das hat im letzten Jahr besser geklappt, in diesem Jahr zeigen sich die Wahrnehmung des Stückes beeinflussende Mängel. Es gibt einige wenige, die ihrer Rolle eine Gestalt geben, ihr Leben einhauchen, wo man das Gefühl hat, hier geht es um etwas. Andere kämpfen leider sehr mit ihrem Text, und man fragt sich, was sollte mir dieser Dialog, diese Szene hier jetzt eigentlich mitteilen. Das fragt man sich übrigens bei dem ganzen Stück. Soviel verschenktes Potential, kein einziger Gedanke wird vertieft, alles nur angeschnitten und sprachlich gibt das auch nur in den allerwenigsten Fällen etwas her. Eine Menge unzusammenhängender Szenen, die einem ernsten Thema, das man durchaus auch hätte klamaukhaft auf die Spitze treiben können, was das Stück aber nicht tut, so dass alles ziemlich wischiwaschi bleibt. Was in der Erinnerung bleibt, sind zwei bis drei doch berührend gespielte Einzelszenen und ein einziger Regieeinfall: wie Claudius (hieß er so?) und Klaus nach jeder ihrer Szenen zusammen auf dem Skatebord wieder zu ihren Sitzplätzen fahren, verquer stehend und die Arme wie ein Engel ausbreitend.

Letztes Jahr war ich zweimal hintereinander in der Aufführung des Schauspielclubs, weil es so mitreißend war. Nächstes Jahr bitte wieder ein besseres Stück!

gross und klein (STOP MAKING SENSE):

Der neue Werbeslogan für das Saarland lautet: GROSSES BEGINNT IMMER IM KLEINEN. Mal davon abgesehen, dass diese Aussage nicht haltbar ist, was sie auch immer im Genauen und diesem Zusammenhang des Werbezweckes meinen mag, besteht das grösste Problem mit diesem Slogan darin, dass ein Wunschdenken als Tatsache verkauft wird. Durch das Behaupten einer Behauptung soll eine Tatsache erzeugt werden. Wenn ich lange genug behaupte, ich hätte gesunde Zähne, dann habe ich irgendwann welche. Vor vielen vielen Jahren, noch zu Zeiten des Saarbrücker Tatortkommissärs Jean Fitou, Jaques Filou, nee: Max Palu erinnere ich mich an ein entsprechendes Drehbuch, das im Eishockeymilieu spielte (ich muss zugeben, habe ich nie gesehen, erinnere mich aber an die lebhafte Berichterstattung der Saarbrücker SZ) und man ist zum Drehen extra nach Frankfurtmain gefahren, weil das entsprechende Milieu ici n’existe pas. Alors: Lüg et trüg. Oder etwas anspruchsvoller: Es handelt es sich einfach um einen Fall falscher Induktion:

Das Saarland ist klein. Alles Große beginnt im Kleinen. Also beginnt auch im Saarland etwas Großes.

Wobei Problem:  Bereits der zweite Satz ist Nonsense.

Merke: Sätze mit „immer“ sind immer falsch!

Merke weiter: Die Leute sind zwar oft doof, aber nicht immer.

ES GIBT KEIN WAHRES LEBEN IM KLEINEN.

 

fülmkrütück

Wes Anderson: GRAND BUDAPEST HOTEL. Man hat viel zu gucken. Man kommt manchmal mit den ganzen Anspielungen nicht mehr mit. Es gibt eine Menge zu lachen. Es strotzt nur so vor Einfällen und Ideen. Alleine das Riesenwildschweinbild bei der Testamentseröffnung… Das wäre für meine Begriffe ein schöner und gelungener Unterhaltungsfilm. Wobei ich THE ROYAL TENENBAUMS im Vergleich aber vorerst bevorzugen würde. (War LA GRANDE BELLEZZA im letzten Jahr ein Film, den man nach dem Abspann sofort, aber wirklich sofort, noch einmal sehen wollte, so besteht der Wunsch nach nochmaligem Betrachten durchaus auch bei GRAND BUDAPEST HOTEL, aber nicht direkt im Anschluß, irgendwann später mal wieder, vielleicht auch auf DVD, damit man das ein oder andere sofort zurückspulen kann.)

fülmkrütück

Am Freitagabend in der Kinowerkstatt St. Ingbert. Eigentlich war „12 years a slave“ angekündigt, den durften sie aus verleihtechnischen Gründen aber nicht zeigen…Den Ersatzfilm „All is lost“ mit Robert Redford hätte ich mir wahrscheinlich nicht unbedingt angesehen, aber als Ersatzfilm und wenn man schonmal da war und Hans-Ulrich Pönack war auch ganz euphorisch (was sonst: euphorisches Lob oder euphorische Verrisse). Nungut.
Der Film leidet an zweierlei: Erstens daran, dass er nicht komplett auf Musik verzichten kann. Er verzichtet zum Großteil auf Musik, und das ist auch wunderbar so, das was akustisch passiert, wenn die Wellen während des Sturms auf das Boot schlagen etc., ist wirklich sehr interessant und schafft eine bedrohliche Atmosphäre. Und dann spielen plötzlich mitten auf dem Meer nach einer ersten überstandenen Bedrohung plötzlich die Geigen…Und auch in einer weiteren Bedrohungssituation können sie darauf nicht verzichten. Das zerrt Dich als Betrachter sofort aus dem Geschehen und schafft einen sicheren Abstand. Und das ist schade. Das verschenkt der Film vieles der Wirkungen, die er vorher erzeugt hat.
Dasselbe passiert leider durch die zahllosen Ungereimtheiten, die man wahrscheinlich gar nicht alle aufzählen kann. Und auch das ist schade. Es geht nicht darum, dass ein Film in allen seinen Details absolut echt und der Wirklichkeit entsprechende abbilden muss. Das tut Kunst in den seltensten Fällen.
Aber: Wichtig ist eine gewisse Grundglaubwürdigkeit, die erhalten bleiben muss.
Wenn ich mich ständig frage, wieso plötzlich wieder alle Landkarten so schön trocken sind, damit er sich auf dem Ozean zurechtfinden kann, wenn ich mich fragen, wieso er nach all dem Kentern und Ungemach plötzlich eine unversehrte Lesebrille aus der Hemdtasche zieht, wo plötzlich die trockenen unversehrten Bücher herkommen, anhand derer er sich mal eben flugs das Navigieren mit dem Sextanten beibringt, dann fühle ich mich als Betrachter nicht ernst genommen.
Ein Frachtschiff, dass so dicht an ihm vorbeifährt, ohne ihn trotz Signalraketen zu sehen, finde ich noch halbwegs glaubwürdig, dass das Schiff aber kaum 20 Meter an der Rettungsinsel vorbefährt, ohne das es diese auch nur im Geringsten zum Schaukeln bringt, resp. sie nicht gleich zum Kentern bringt, das ist irgendwie nicht ganz nachvollziehbar. Schade.
Dabei hat der Film zum Teil wirklich starke Bilder, und erzielt beklemmende Wirkungen dort, wo er das Verletzliche und Bedrohte des Menschlichen zeigt. Der Topos „Haus“, hier in die Kajüte des Einhandseglers verlagert, schwankt und wankt, und die Sicherheit ist eine scheinbare. Das funktioniert gut, wird aber durch viele handwerkliche Fehler kaputt gemacht.
Eine interessante Idee für einen Film, aber einfach zu schludrig gemacht.
Und: Die amerikanische Filmindustrie sollte generell ein mehrjähriges Verbot für Filmmusik aussprechen.

Kritik der Kritik

Dr. Sabine Graf schreibt heute in einem Auftragsartikel für die Saarbrücker SZ über die Jubiläumsausstellung Jo Enzweiler im Museum Schloss Fellenberg in Merzig.
Der Artikel endet mit folgenden Gedanken:
„Die Ausstellung versammelt das, was man von Enzweiler kennt: Die gerissenen Karton-Collagen in leuchtendem Gelb in immer neuen Variationen, die Farbkombinationen sowie Nuancen einer einzigen Farbe auslotenden Gouache-Drucke, die das Verhältnis von Raum und Zwischenraum erkundenden Papierschnitte beziehungsweise Zeichnungen und die seit einigen Jahren gefertigten Skulpturen, die das Zusammenspiel geometrischer Formen erkunden.
Das ist altvertraut, doch stammen die gezeigten Arbeiten aus dem Zeitraum zwischen 2006 und 2014. Es wäre ein Leichtes, daher von der Wiederkehr des Immergleichen zu sprechen. Doch geht es hier gerade darum, die Qualität herauszukehren, die in der dauernden Befragung des Materials und der Entdeckung weiterer Kombinationsmöglichkeiten von Vorhandenem liegt. Hierin begegnen sich Kunst und Leben. Zudem geht es wie in jedem künstlerischen Werk um Wiedererkennbarkeit. Die Wiederholung ist dafür ein probates Mittel. Sie schafft ein Markenzeichen, um einen Künstler den Tag hinaus einen Platz in der Kunstgeschichte zu sichern.“

An folgenden Punkten muss wiedersprochen werden:
Es wäre nicht ein Leichtes, von der Wiederholung des Immergleichen zu sprechen. Man muss hier von der Wiederholung des Immergleichen sprechen. Denn darum handelt es sich. Und aus der bloßen Wiederholung erwächst erstmal per se keine Qualität. Sich zu wiederholen heisst noch nicht, dass man dabei Entdeckungen macht.

Es ist zwar eine interessante Frage, ob es möglich ist, und ab welchem Zeitpunkt Quantität in Qualität kippt, ob aus der bloßen Wiederholung irgendwann etwas Erhellendes wächst, aber Sisyphos, der täglich seinen Stein zu rollen hat, ist eine andere Veranstaltung. Auch Entwicklung gehört zum Mensch-Sein. Zugegeben, es mag natürlich auch an mir liegen, dass ich hier keine Entwicklungen sehe. Ich sehe hier keinen Suchenden, der ein Thema umkreist und mit sich und der Welt etwas zu klären und mir folglich etwas Interessantes zu sagen hätte. (Wie ich es durchaus bei Sigurd Rompza oder Lukas Kramer sehr). Ich sehe hier jemanden, der in seinen jungen Jahren einmal eine Idee hatte und uns seit 30 Jahren immer wieder dasselbe Bild zeigt, oder dasgleiche, das spielt hier kaum eine Rolle. Kennste eines, kennste alle.

Heftig wiedersprochen werden muss dem (ich bin ja nicht Dr. Sabine Graf, aber diese hätte früher einfach folgendes Adjektiv in den Raum geworfen, das ich nie mochte, aber das Imperium darf ja auch mal zurückschlagen, also bitteschön:) hirntoten Satz „Zudem geht es wie in jedem künstlerischen Werk um Wiedererkennbarkeit.“ …bei jedem künstlerischen Werk!? Das ist in seiner groben Verallgemeinerung eine derartige Frechheit und Anmaßung von Urteilskraft, dass man sich das nicht lange genug immer wieder vorlesen kann…; Vielleicht geht es bei Jo Enzweiler um Wiedererkennbarkeit. Aber das ist generell schon eine hahnebüchene Bemerkung. Es geht von mir aus um solche Dinge wie „Schönheit“, Erkenntnis, Wahrheit, Leben und Tod, die Welt an sich, aber doch nicht um Wiedererkennbarkeit. Angenommen, auch Litaratur sei Kunst, was ich gerne annähme, hat Vrginia Woolf so stilistisch unterschiedliche Bücher geschrieben, weil sie in ihrem Schreiben um Wiedererkennbarkeit gerungen hat? Liebe Literaturwisschenschaftlerin: behaupten kann man vieles, aber halten lässt sich oft davon nur wenig. Max Ernst rang um Wiedererkennbarkeit? Fuck off.

„Die Wiederholung ist dafür ein probates Mittel. Sie schafft ein Markenzeichen, um einen Künstler den Tag hinaus einen Platz in der Kunstgeschichte zu sichern.“ Diesen Satz kann sie noch weniger ernst meinen. Ich kann das nur so verstehen, dass sie, mit dem Güllepfosten winkend, dem Enzweiler Joachim (wie heisst man wirklich, wenn man „Jo“ heisst?)(Josef?)(Jorinde?)(Joringel?) eins reinwürgen will, sich vor der anerkannten Fachkraft aber nicht das zu sagen traut, was sie sagen möchte, wo sie doch jedem anderen hergelaufenen Künstlersmann oder jeder hergelaufenen Künstlersfrau einen reinwürgt, wenn sie den oder die sich tiefer dünkt, und sich auch noch was drauf einbildet.

Fuck off, die Zweite.

 

 

Es gilt Billy Wilders Prämisse: Du darfst nicht langweilen!

ophüls 35, 6, filme 15 und 16

17uhr: DURCH DIESE NACHT SEHE ICH KEINEN EINZIGEN STERN. Regie: Dagmar Knöpfel. (außerhlab des Wettbewerbes in der Corinna Harfouch-Reihe): Am 6. Tag ist man ein wenig müde, deshalb habe ich ein wenig mit der langsamen Erzählweise gekämpft, was aber nichts über den Film sagt. Ein Film, der sich mit seinen Bildern viel Zeit lässt und auf drei Briefen der teschechischen Schriftstellerin Bozena Nemcová beruht. Dreimal setzt sie an, um ihrem Verleger zu erklären, warum sie derzeit nicht in der Lage sei, ihre gesammelten Schriften herauszugeben, und das, was man erfährt über ihre Lebensbedingungen, über ihren Mann, ihr Keingehaltenwerden in dieser Familienstruktur,  ist eigentlich ein Skandal. Der Film erzählt nicht viel, aber auch er setzt dreimal an, und man sieht dieselben Geschehnisse in drei leicht verschobenen Varianten und so wird die Situation der Protagonistin ausgesprochen deutlich.

 

20uhr15: DER BLINDE FLECK. Regie: Daniel Harrich. Ein Film, um den im Vorfeld schon ein wenig Trara gemacht worden ist, weil er parallel zum Festival wohl auch bereits in den Kinos angelaufen ist, er aber trotzdem der Festivalleitung so wichtig erschien, dass er trotzdem laufen sollte. Es geht um das Oktoberfestattentat von 1980 und die Vertuschungen, die dazu geführt haben, dass man unbedingt in der Öffentlichkeit einen Einzeltäter präsentieren wollte, anstatt den Hinweisen auf Verstrickungen mit der Wehrsportgruppe Hoffmann nachzugehen, um Franz-Josef Strauß im Wahlkampf aus der Schußlinie zu nehmen. Der Anschlag war am 26.9., Bundestagswahl damals am 5.10. Die Hintergrund-Infos sind zwar ganz interessant, beruhend auf dem Buch des BR-Journalisten Ulrich Chaussy. Der Film leidet ein wenig unter der prominenten Besetzung, die BR-Tatortkommissare Wachveitl und Nemec hier in wichtigen Nebenrollen zu besetzen, war keine gute Idee. Generell ist der Film ein wenig zu professionell und abgebrüht. Die Musik im zeitgemäßen Stil ein wenig zu dramatisch aufgesetzt und laut. Pseudodokuspielfilm, der einen dann doch irgendwo ins Leere laufen lässt.

ophüls preisträger

Diese sind seit eben bekanntgegeben. Den Preisträgerfilm hatten wir nach der Beschreibung im Programmheft nicht ausgesucht, auch den Träger des Drehbuchpreises nicht. Aber die laufen bestimmt demnächst auch mal im „richtigen“ Kino. Kinowerkstatt IGB zum Beispiel. Schade auch, dass ein Film wie VIKTORIA nicht den neuen Preis für gesellschaftsrelevante Filme bekommen hat. Nungut, auch MÄNNDER ZEIGEN FILME UND FRAUEN IHRE BRÜSTE hatten wir nicht auf unserer Agenda, vielleicht kann man das ja nachholen, die Begründung der Jury macht dann doch neugierig. Ebenso auch auf LOVE STEAKS.

Dass der intelligente Kurzfilm ALTER EGON den Publikumspreis für Kurzfilme bekommen hat, das ist sehr erfreulich, wirklich ein sehr kluges freches kleines Filmchen.

HIGH PERFORMANCE wenigstens den Publikumspreis. Hätte auch als gesellschaftsrelevant durchgehen können. Nungut.

Und FAMILIENFIEBER als Preis der Ministerpräsidentin wundert mich ein wenig. Wo sie doch grade alle so gegen Prostitution unterwegs sind, wäre doch hier VIKTORIA auch eine gute Wahl gewesen. Scheint mir so, als fände ich es schade, dass dieser Film so komplett leer ausgegangen ist…obwohl, wie in meiner Tageskritik zu lesen, FAMILIENFIEBER meiner Meinung auch ein recht klug gemachter Film war.

Kritik ist ein schwieriges Geschäft, Kriterien zu finden und die Dinge aneinander zu messen auch. Wenn möglich werde ich mir die preisgedingsten Filme irgendwann einmal angucken. Nur nicht morgen.

Morgen steht noch DER BLINDE FLECK auf dem Programm und DURCH DIESE NACHT SEHE ICH KEINEN EINZIGEN STERN (außerhalb des Wettbewerbs). Und dann ist erstmal Schluss.

(Wobei ich ja seit „zwischen den Jahren“ dran bin, mir die HEIMAT.Trilogie ins Gedächtnis zurückzurufen, resp. zu erarbeiten. Und das ist auch ziemlich dichte Kost (zumindest DIE ZWEITE HEIMAT)…

 

ophüls 35, 5, filme 12 – 14

9uhr30: HIGH PERFORMANCE. Regie: Johanna Moder. Das Thema Kapitalismus, Kapiatlismuskritik und was mach ich aus meinem Leben werden hier auf unterhaltsame Weise intelligent abgehandelt. Interessante Idee der Konstellation zweier Brüder aus wirtschaftlich erfolgreichem Haus, deren einer eine Wirtschaftskarriere eingeschlagen hat, der andere Mitglied einer Off-Theatergruppe ist und sein Geld als Aushilfe im Supermarkt verdient. Es kommt zur Zuspitzung, als der Wirtschaftsbruder den Theaterbruder benutzt, um eine seiner Angestellten zu bespitzeln. Das gute an dem Film ist das Drehbuch. Da holpert nix und trotz dieser etwas gewagten Konstruktion wirkt das alles ausgesprochen glaubhaft. Und auch der Schluß bleibt im besten Sinne unbefriedigend. Es kommt zu keiner eindeutigen Wegschiebung: Hier der böse Kapitalistenbruder, da der gute Schauspieler, nee, der Wirtschaftsbruder gewinnt sein intigantes Spiel und steht als Gewinner da, der Schauspielerbruder verliebt sich zwar in die zu bespitzelnde Programmiererin seines Bruders, verliert diese aber, weil alles rauskommt, sie, gerade erst entlassen, pokert und steigt mit höherem Gehalt wieder in die Firma ein, während die alternative Theatergruppe von durch den Verrat verdienten Geld gesponsert wird. Und beide Brüder stehen am Schluß zusammen und rauchen gemeinsam eine Zigarette vor der Tür. Das muss man erstmal so erzählen, dass das funktioniert. Und hier tut es das.

 

12uhr. SEME. Regie: Il Kang. Bis zur Hälfte des Filmes konnte ich mich bestimmter Gedanken nicht erwehren, z.B. wieso will mir da jemand was erzählen, der eigentlich gar keine Lust hat, mir etwas zu erzählen. Oder: Ein an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg entstandener Film: wirklich ein typischer Kunststudentenfilm, etwas blutleer. Und eine merkwürdig aus dem Zusammenhang fallende Szene mit einem Stadtstreicher, der seine Schnapsflasche fallen lässt und dann vor Wut im Regen seinen Schirm zertrümmert. Schlecht gespielt und an der Stelle war ich drauf und dran, den Film innerlich zu verlassen. Doch so langsam kam dann doch ein wenig Stringenz in die Geschichte, die vielleicht, alles in allem, in ihrer Entwicklung ein wenig zu vorhersehbar bleibt, aber man geht dann am Ende doch nicht raus mit einem unguten Gefühl. Ein Film, den man sich durchaus ansehen kann. Nochwas lobenswertes, was ich fast vergessen hatte: Die Filmemacher haben sich entschieden, die koreanisch gesprochenen Passagen nicht zu untertiteln. Dies war ein guter Plan, man versteht trotzdem, um was es geht, und es lässt einen trotzdem die Situation erspüren und auch ein wenig die Fremdheit.

 

16uhr30: HERRENPARTIE. Regie: Wolfgang Staudte, 1964 (außerhalb des Wettbewerbs): Das sind die Veranstaltungen, weswegen ein Besuch des Festivals alleine bereits lohnt. Einen solchen Film wieder- oder zum erstenmal zu sehen. Ein wichtiger Film nicht nur für die damalige Zeit. Dazu begleitet von einem Interview mit Helga Sanders-Brahms, die ihre Begeisterung über Staudte und den Film ans Publikum weitergibt. Beides sehenswert, Frau Staudte und der Film. Auch dieser Nachmittag wird lange nachklingen.

blog-Eintrag Nr. 1700, Ophüls 35, 4, Filme 9 – 11

10uhr30: VERGRABENE STIMMEN. Regie: Numan Acar. Ein Film wie ich ihn mit seit Jahren wünsche. Jemand, der sich Gedanken um seine Bilder macht und um die Art und Weise, wie er was erzählen will. Der sich bewusst vom konventionellen Erzählen absetzt und deshalb auch konsequenterweise keine Förderungen für seinen Film beantragt hat. Nicht alle Bilder versteht man, nicht alles löst sich auf, nicht alles versteht man. Aber es bleiben starke Bilder, interessante Einfälle (auch im Soundtrack) und vieles, was einen noch weiter beschäftigen wird. Nach allen Wettbewerbsfilmen, die ich bis heute abend dann gesehen habe, mein aktueller Favorit.

Intermezzo: Deshalb mein Favorit, weil zwar VIKTORIA auch ein wichtiger und gut gemachter Film ist, VERGRABENE STIMMEN aber dann filmisch doch mehr wagt, auch dass Numan Acar oft zu einer eigenen Erzählweise und Bildsprache gelangt, spricht sehr für diesen Film. Würde mich sehr freuen, wenn dieser Mut belohnt würde…

13uhr15: FAMILIENFIEBER. Regie: Nico Sommer. Zu vergleichbaren Themen hat man schon mehr oder weniger Gelungenes gesehen. Konstellation: Zwei Elternpaare werden von einem verliebten jungen Paar in das Haus des Jungen eingeladen, damit sie sich mal kennenlernen. Und eigentlich sollen sie dabei gleich auch erfahren, dass das Mädchen schwanger ist. Kommt anders. Die Mutter des Mädchens hat seit einiger Zeit ein Verhältnis mit dem Vater des Jungen. Beide wussten aber bis zu diesem Abend nicht, dass ihre Kinder ein Paar sind. Zuerst versucht man es zu verheimlichen, die Mutter hält dies aber nicht aus und bringt die Wahrheit zur Sprache. Und was jetzt und auf welche Art zur Sprache kommt ist ausgesprochen klug gesagt und clever inszeniert. Ein locker daherkommender Film mit viel Humor, der sein durchaus ernstes Thema (zwei Ehe-Paare, die nicht mehr funktionieren, warum und wie man damit umgeht) klug vermittelt. Bei diesem Thema könnte man sehr leicht ziemlich viel versemmeln, passiert aber nicht. Alles schlüssig. Und verglichen mit dem Humorproblem in TOTALE STILLE: So kann das auch funktionieren mit der Balance zwischen Ernst und Humor.

15uhr: FRÄULEIN ELSE. Regie: Anna Martinetz. Die Novelle von Schnitzler wird nach Indien transponiert. Man fragt sich natürlich: warum. Die Antwort im anschließenden Gespräch ist aber nachvollziehbar. Die Novelle spielt in einem Nobelhotel in Italien. Italien sei damals eine Art heutiges Schwellenland gewesen mit prekären Arbeitsverhältnissen im Kontrast zur mondänen Gästeschaft des Hotels. Indien schien der Regisseurin ein adäquates Land aus heutiger Zeit. Sie hat sich außerdem für eine intellektuelle Variante der Verfilmung entschieden: Der Text wird in der Schnitzlerschen Diktion vorgetragen, die Währung im Text durch Euro ersetzt. Weitere kleine Modifikationen dieser Art hat der Text zu ertragen. Die Brechung ursprüngliche Diktion im Verhältnis zu heutigem Indien schafft Distanz zu Text und Film, so dass man, deshalb „intellektuelle Variante“, schließlich dann doch eher auf den Text zurückgeworfen wird, der der Regisseurin als Ausgangspunkt dann doch sehr wichtig war. Filmisch wird das ein oder andere Experiment mit der Filmsprache gewagt, überwiegend verbleibt es aber bei einer recht konventionellen Bildsprache. Kein schlechter Film, gehört aber in die Kategorie: einmal Sehen reicht.

18uhr30: WESTEN. Regie: Christian Schwochow. (außerhalb des Wettbewerbes): Hätten wir gerne gesehen. Leider gab es eine technische Panne in der Camera 2, weshalb der Film nach der Anfangssequenz bereits abgebrochen werden musste.