Haben wir es hier mit einem Cartoonisten zu tun? Jedenfalls mit einem Zeichner, der seine Zeichnungen überwiegend zur Veröffentlichung in Zeitschriften und Büchern konzipiert hat. „Zeichnen ist Denken auf dem Papier“. Ein ausgeprägter Spieltrieb kann beim Denken aber sehr gut helfen. Unser Blatt ist kein ganz so typisches, dafür fehlt einfach die Farbe. Gerne hat er Buntstifte eingesetzt, manchmal auch aquarelliert, wie auch immer: unser Blatt ist ganz puristisch: nur schwarzweiß, nur ein einziger Stift. Vermutlich Bleistift oder ein Kreidestift – ganz genau lässt sich das aus dem Abdruck im Buch nicht erschließen – wichtig ist: keine harten Tuschelinien; trotz aller klar umrissener Gegenstände wirkt alles ein wenig angewärmt und nicht bissig. In den frühen Jahren gab es durchaus auch mal ein Blatt mit Feder in Tusche, mit der Verbesserung drucktechnischer Verfahren konnte er aber seiner Freude an farbiger Gestaltung durchaus mehr Auslauf bieten. Was haben wir nun vor uns?: Ein Querformat. Nicht ganz das, wohin uns unsere DIN-Formate verdorben haben, Höhe zu Breite sind etwas angenehmer verteilt, wenn auch das Ganze noch nicht Richtung Quadrat hin empfunden wird. In der Horizontale wird das Blatt durchgehend in der Mitte in ein deutliches Oben und Unten geteilt. Diese Klarheit der Trennung wird dadurch betont, dass diese Linie offensichtlich sogar mit einem Lineal gezogen wurde. Die Zeichnung gehört zu einer Folge von Blättern, die sich dem Thema der Spiegelungen verschrieben haben. Die trennende horizontale Mitte stellt also eine Spiegelachse dar. Gleichzeitig eine Art Horizont, beziehungsweise Begrenzung eines Sees. Oder etwa nicht? Und hier fängt dann auch das Verwirrspiel bereits an. Aber der Reihe nach. Was passiert nun entlang dieser offensichtlich wie gleichermaßen scheinbaren Spiegelachse? Beginnen wir am linken Blattrand. Direkt an diesem Horizont, nur kurz ins Blatt reichend, zwei leicht gekrümmte Linien, die eine kleine Insel bzw. Landzunge andeuten. Oben das Land, unten die Spiegelung. Darauf findet sich – etwas kräftiger gezeichnet – eine Art „T“, das wir gerne als Baum wiedererkennen dürfen. Und unterhalb unserer Spiegelachse natürlich als kopfstehendes „T“ der Umkehrschluss dieses Bäumchens. Das alles noch sehr sehr klein, quasi als Auftakt all dessen, was da noch kommt. Dieses Präludium findet seinen Nachklang am rechten Bildrand in Gestalt einer etwas weitläufigeren Landzunge, in ihren Mitteln aber ebenso einfach angelegt: zwei Linien, eine oben, eine unten, noch ein paar Schraffuren reingeschludert und fertig. Darauf ein Haus mit einem Schornstein, fast wie von Kinderhand hingezaubert: eine kleine Fabrik. Der Schornstein schickt seinen Rauch auf den Weg, der alsbald rechtwinkling zum Papierrand hin abbiegt und sich kurz vorher noch einmal verzweigt. Um das darzustellen reichen Steinberg gerade mal drei hingestotterte Linien. (In der Vorstellung nicht zu vergessen: die passende Spiegelung unterhalb!). Jetzt nochmal zurück zum Anfang am linken Blattrand. Neben der präludierten Landzunge finden wir, mit Großbuchstaben in den Himmel geschrieben, das Wort OHIO, das unterhalb unserer Spiegelachse, also im gedachten Wasser seine Wiederholung findet. Aber halt! Wieso eigentlich Wiederholung? Spiegelung wollten wir doch sagen. Und stimmt! O und H und I und O sind als Buchstaben alle an einer mittig gedachten Waagerechte spiegelbar und es verändert sich gar nichts. Mit OTTO könnte man das nicht machen. Oder mit MICHIGAN, schließlich sind wir ja hier bei einem amerikanischen Zeichner. Hier hat uns Steinberg also schon die ersten Falle gestellt. Weiter im Blatt. Etwas weiter rechts, aber immer noch in der Blatthälfte, jedoch mit der Tendenz zu oberen, bzw. unterem Blattrand: jeweils zwei Schwäne, schwimmend, seitlich gesehen, mit einfacher Linie krakelig gezeichnet, Köpfe nach links. Aber was ist das denn jetzt schon wieder?: Im Himmel können doch keine Schwäne schwimmen! Und wieso sind das sowieso zwei? Will heißen: wir haben sowohl im Himmel als auch im Wasser einen Schwan, der seine Spiegelung jeweils direkt bei sich trägt, schön mit kurzer Linie voneinander getrennt, ein Doppelwesen aus Schwan und Spiegelung. Und dieses Doppelwesen dann wieder gespiegelt im ehemals gedachten Wasserbereich. Sind unsere Annahmen denn so überhaupt noch haltbar? Der Blick sucht das Weite und flüchtet weiter nach rechts. Und wieder findet sich ein Wort. Das kennen wir ja schon von OHIO. Doch was steht da in unmittelbarer Nähe zum Horizont (es war doch der Horizont, oder?): das Wort STAR. Stern. Schön. Das könnte man als Spiel deuten mit Abbild, Wort und Wirklichkeit, statt einen Stern zu zeichnen, schreibt er das Wort dafür ins Bild. Und auch noch in den Himmel. Prima. Das passt wieder. Doch bei S und T und A und R gibt es keine erkennbare Spiegelachse. Ein vorsichtiger Blick nach unten und wir sind perplex. Keine horizontale formale Spiegelung findet statt, sondern eine vertikale verbale. Aus dem STAR werden die RATS. Aus dem Stern werden die Ratten. Keine Buchstaben vertauscht, einfach einmal von hinten nach vorne. Und über die semantische Fallhöhe zwischen dem Stern und den Ratten im Wasser wollen wir hier gar nicht erst mal nachdenken. Gehört aber in die Schublade mit all den Ideen, die man selbst gerne gehabt hätte. Mit all dem lässt uns Steinberg allerdings nicht gang alleine. Am sehr unteren Bildrand gibt es eine weitere Linie von links nach rechts. Sie bezeichnet das Ufer, sicheres Land. Hier ebenfalls noch ein paar hingschleuderte Schraffurandeutungen, um es ein wenig fester erscheinen zu lassen, aber ja nicht zu sehr ausführen das alles. 1/4 vom rechten Blattrand entfernt: die Silhouette eines Mannes mit Hut. Er steht mit Blick zum See und betrachtet das alles in aller Seelenruhe und macht sich wohl keinerlei Gedanken über die beiden Schlagschatten, die unterhalb seiner Beine wachsen und schräg nach links aus dem Blatt führen. What you see is what you get.
Ergänzung um einen weiteren Versuch: