aus gegebenem anlass

Gestern abend was nachgeblättert in Walter Koschatkys „Die Kunst der Fotografie“. Und etwas entdeckt, das ich beim Erstlesen (1988 war das) unterstrichen habe:

…Hier, in diesem Zusammenhang, will das besagen, daß ein Üben, ein Vertiefen, Aufnahmefähig-Machen (vielleicht kann man hier sgar den photografischen Terminus dafür verwenden), das Sensibilisieren des Menschen eben in unserer Zeit der Reizüberflutung wichtiger, da dramatischer, bedeutungsvoller denn je zuvor geworden ist.

Beim Kunstwerk jedenfalls handelt es sich um das Mitteilen von einem Stück Wahrheit, das nur so und nicht anders mitgeteilt werden kann: es geht nicht um Brillianz, Effekt, Erfolg und nicht um das Noch-nie-Dagewesene, um Beliebtes, Begehrtes, um die Rarität und um das Staunen machende Können. Es geht nur um das Sich-Mitteilen vom Menschen zum Menschen.

kleiner zwischenjahrstext aus meiner vergangenheit

Der Winter ist gnadenlos. Es befindet sich die falsche Musik in meinem Beutel. Ich stehe und kann nicht weg. Der Schnee taut, der Bus wird kommen, wenn auch zu spät. Eine Bewegung zurück scheint nicht mehr möglich. Die Autos fahren auf einer trockenen Straße und der Fußgänger rutscht auf dem Bürgersteig. Falsche Musik wird falsche Musik bleiben, egal ob der Bus kommt oder auch nicht. Alle, die ihren Weg gefunden haben, werden sie hören. Der Schnee wird die Musik nicht leiser machen. Und wenn ich jetzt hinfiele? Ein Knochenbruch und die Sonne scheint.

Man darf sich die Bewohner dieser Stadt als unglückliche Menschen vorstellen.
Der junge Mann, der, ganz Hose, sich sacht und sacht nach vorne beugt. Er macht einen überlegen-kritischen Eindruck, beäugt die anderen, und trägt salopp die Bildzeitung unter dem Arm. Über die Runden kommen. Um die Ecke. Die junge Frau, die, ganz gezupfte Augenbraue, auf ihre ebenfalls gezupfte Freundinmutterschwester wartet. Zum MUT gehört das Bewusstsein der GEFAHR. Zum EINKAUFEN das nötige KLEINGELD.
„schöndasswirunsgetroffenhabenaufwiedersehen!“
Danke für ihren Mut.
Danke für ihren Einkauf.
Die Kassiererin, die, ganz Kasse, den Kunden namentlich verabschiedet, sobald sie seinen Namen auf der EC-Karte gelesen hat: Friendly fire.

(von links ein Jahr, von rechts ein Jahr,
von oben eines, von unten; ich könnte zerquetscht werden, wenn ich nicht mal ein paar Tage Urlaub hätte).

Hunde riechen am Geruch, und ich kann mir vorstellen, dass anschließend kein Geruch mehr da ist. Weggerochen. Gerüche sind endlich. Und ein Ding. Und Geld spritzt aus den Menschen, in regelmäßigen Abständen fliegt es von ihnen weg, in das einzige Loch, in das es hineingehört. Das hat einen Rhythmus. Ich kann mich hinsetzen und es absichtslos betrachten. Es sieht ganz schön aus. Wie alles in diesem einen Loch verschwindet, das doch einen Namen braucht und das wir deshalb Konjunktur nennen wollen. Wo Konjunktur ist, oder Aufschwung oder Auftrieb, da wird keiner versinken und am Boden bleiben. Wir werden leichter und treiben oben. Alle werden gerettet. Nie wieder wird es regnen. (Nur im Turnunterricht der männlich pubertierenden Jugend war der Aufschwung etwas Unangenehmes: Man sollte sich unendlich verbiegen, beide Füße rechts antreibend von der Erde heben und den Überblick verlieren, indem man von einer Vorwärts- in eine Rückwärtsbewegung übergeht. Drehung um eine mittlere Achse, nicht gedacht, sondern sehr real und fest, und das macht Angst. Quetschung und Schmerz schoben sich mit den Füßen über den Horizont und lähmten die Arme.) Alle Dinge, die in diesem feucht-fröhlich wärmenden Loch namens Konjunktur verschwinden, brauchen keinen Namen: sie heißen alle Geld. Egal, was sonst noch so mitfliegt. Am zweiten Weihnachtsfeiertag, morgens um halb sieben, hat es aufgehört zu spritzen. Ich höre nichts. Alles ist weggeworfen. Aus allen Richtungen bewegen sich die Jahre auf mich zu. Mich stört das nicht. Das macht mir keine Angst, denn ich habe sowieso ein paar Tage Urlaub und das jährt sich jährlich.
Ich kann zurücklassen, was ich will, ich kann Wahrzeichen biegen aus Blech, so viele ich will, ich kann es mir sparen, den Kindergarten einzuzäunen. Die Kinder bleiben da und kommen gar nicht erst auf den Gedanken abzuhauen. Denn bald ist Silvester, und sie freuen sich und sie zerplatzen schon Tage vorher knallend auf dem Asphalt. Doch das macht mir keine Angst, denn ich habe sowieso ein paar Tage Urlaub und die Leute machen sich neue Kinder mit neuen Namen für ein neues Jahr. Auch eine Art von Loch.

FIGUR UND RAUM -MENSCHEN SKIZZIEREN

Ein Kurs der VHS Neunkirchen. Anfänger können sich hier im figürlichen Zeichnen ausprobieren. Worauf kommt es bei den Proportionen an? Wie kann man auf einfache Art Menschen skizzieren? Wie bekommt man Figuren zum Stehen, Sitzen oder Gehen? Und wie verhält sich das sowieso mit dem Raum, in dem das alles stattfindet?

3 Termine, Samstag 5.1., 12.1. und 19.1.2019.  Jeweils 15 – 18 Uhr.

Wo? -> vhs im KULT, Kulturzentrum Neunkirchen, Marienstraße 2.

Zur sensationellen Kursgebühr von 29,- €. Anmeldung bei der vhs Neunkirchen, Tel.: 06821 – 202 552. Oder schriftlich unter www.vhs-nk.de

Eintrag Nr. 3599

Jetzt hab ich mir gestern was zu Weihnachten geschenkt: Bahnhofsbuchhandlung Neunkirchen: eine Ausgabe von „DU“ mit dem Schwerpunktthema Wolfgang Beltracchi. Da sind viele Bilder drin und ein paar Texte – und ich wollte mir mal ein profundes Bild zu diesem Phänomen machen. Ich hatte mir vor längerer Zeit ein paar Folgen auf 3SAT angesehen, wo er Prominente „in der Handschrift von“ (wie er das nennt) portraitiert hat. Daniel Kehlmann ist in dieser Sendung in meinem Ansehen einige Grade nach unten gerutscht. Nun hab ich „Die Vermessung der Welt“ nie gelesen, dafür aber „Ruhm“. Jedenfalls fand ich Daniel Kehlmann für meine Begriffe sehr unkundig in seinem Kunstverständnis und recht ausschnittkrabbelnd. „Aber wer Beltracchi aus der Nähe bei der Arbeit erlebt, mit all der Hingabe und der scharfen Aufmerkamkeit, all den Einfällen und der Liebe zu den kleinsten Details, gar nicht zu reden von seinem unglaublichen Können, der fragt sich irgendwann: Wenn dieser Mensch kein echter Künstler ist, wer bitte soll dann ein echter Künstler sein?“ So Kehlmann.

Bei einem Maler, der dann unfreiwillig als Fälscher aufgeflogen ist, ist natürlich die Frage, wer denn nun ein echter Künstler sei, wenn nicht dieser, dann doch ein wenig delikat, und ich denke: unfreiwillig zweideutig. Beltracchi ist ein falscher Künstler.

Denn zum Künstlersein gehört der Einsatz des Lebens. Der Mut zum Risiko und zum Scheitern. Der Mut, sich zu blamieren. Ausgelacht zu werden.

Zu all dem hat Beltracchi der Mut gefehlt.

Es wird in vielen dieser Texte in „DU“ von renommierten Schreibern von des Kaisers neuen Kleidern gesprochen, eine Herrschaftswissen-Kunst-Elite postuliert und und und.

Und man staunt.

Beltracchis Können wird gelobt. Und er wird auch selbst nicht müde, es immer wieder auch selbst zu loben. Er könne 400 künstlerische Handschriften aus mindestens fünf Jahrhunderten. „Sein“ Campendonk war besser als Campendonk selbst. Und hat den Preis für Campendonks auf neue Höhen getrieben. Und Eigenlob, so wusste schon das kleine Kläuschen von seiner Oma, soll ja bekanntlich olfaktorisch ins Gewicht fallen.

400 Handschriften! Wow: ein richtiges Zirkuspferd. Kann höher und öfter springen als alle anderen. Und wenn einer besonders schön springen kann, dann kann er es nochmal so gut nachmachen.

Dass hier nicht nur eine künstlerische Lebensleistung desavouiert wird (im Falle von Campendonk etwa), scheint niemand zu stören und niemand zu bemerken.

Was muss das aber andererseits für eine unglaubliche Verletzung sein, als Meisterfälscher bekannt und dafür gelobt zu werden und andererseits zu wissen und zu spüren, dass da nichts Eigenes ist, keine Persönlichkeit, keine Haltung, kaum etwas von wirklichem Interesse; und überhaupt: eine groteske Verwechslung von Handschrift und Haltung.

Die als eigene ausgegebenen Werke, die keine Malereien „in der Handschrift von“ sind, sind größenteils von einer unglaublichen Einfallslosigkeit und Banalität: eine gitarrespielende Frau und davor eine Engelsfigur, die in ihrer Maskenhaftigkeit ein wenig an Mephisto erinnert (und dazu für meinen Geschmack, der Abbildung im Heft zu schließen: schlecht gemalt) – solche Vorstellungen entwickelt man vielleicht in der Pubertät, wenn man zuviel Blaue Periode geguckt hat. Zwei drei wenige halbwegs interessante Einfälle gibt es zugegebenermaßen durchaus. Eine Zeichnung stürzender Engel etwa, die mich ganz entfernt an Johannes Grützke Zeichnungen erinnern, nur war dieser radikaler und härter. Beltracchi kann es sich nicht verkneifen, ein paar zu elegante rote Farbspritzer als Blutspritzer einzubauen. Ansonsten aber ein durchaus in seiner Hell-Dunkel-Wirkung und in seinem flotten Federstrich ansprechendes Blatt. Die Menschenmenge im Hintergrund des Ölbildes (Öl und Aquarell mit Blattgold, klar, Blattgold o edles Material der Malkunst, drunter geht bei Engelsgeflitschel nix) „Abstürzender Engel“ ist auch nicht uninteressant gemacht. Bei dieser Darstellung eines stürzenden Engels aber würde ich den Stürzenden Ikarus bevorzugen oder Francis Bacon. Mich erinnert dieser Beltracchi-Engel ein bisschen an fotorealistische Zeichnungen, die ich so Anfang 20 verbrochen habe. Nix, auf was man stolz sein müsste. Egal.

Beltracchi ist kein Mann, für den gelten könnte: ich male, also bin ich. Für ihn ist viel wichtiger, was er kann, also eher: Ich kann, also bin ich. Also eine Art Potenzmalerei. (Auffallend ist ja auch, dass in kaum einem seiner Statements so etwas wie Zweifel geäußert wird. Zitat: „Vorher male ich noch das große Rosa-Luxemburg-Bild fertig. Das Bild ist fantastisch, die Komposition ist absolut stimmig. …“). Darf er ruhig machen. Stört mich ja nicht. Es irritiert mich nur.

Aber was mich wirklich stört: Dass hier einer auf Kosten anderer lebt, die vor ihm gedacht und gearbeitet haben, die vor ihm ihr Leben auf`s Spiel und sich dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt haben, anstatt sich selbst ein Leben zu erarbeiten. Nicht nur ein Kunstnachmacher und -fälscher. Auch ein Lebensnachmacher und -fälscher.

Thomas Glavinic schreibt in „Die Technik des Schriftstellers in 13 Thesen“:

7. Wenn du Deinen Roman verstehst, ist er vermutlich nicht gut.

8. Wenn du ein Klassiker werden willst, darfst du nicht schreiben wie ein Klassiker.

9. Du bist neu. Die Welt ist neu. Die Motive sind alt. Aus dir, der Gegenwart und den großen Motiven muss etwas entstehen, was es noch nie gegeben hat.

13. Schreibe nicht für dich oder deine Leser, sondern nur für den Roman selbst.

Nur wo lustige Kneipe draufsteht, ist auch lustige Kneipe drin. Das heißt im Falle Wolfgang Beltracchis: nur weil man den Gedanken der anderen nicht folgen kann, ist man selbst noch kein Freidenker.

Und wenn jetzt aus dem Straftatbestand der Urkundenfälschung und des Betrugs ein künstlerisches Werk „in den Handschriften von“ generiert wird, dann hat das eine gwisse Frechheit und Chuzpe. Und wenn das jemand Scheiße findet, dann ist der gleich ein neidvoller und/oder wahlweise moralinsaurer Apostel.

Klar, ist jemand anderer Meinung, ist er, wie die gesamte Lügenpresse, gleich ein moralisch verklemmter Neider und Kunstbestimmer. Lügenpresse sagt Beltracchi nicht. Bei ihm heisst das ermittlernahe Presse.

Wäre Beltracchi als Fälscher nicht aufgeflogen, fänden seine anderen Arbeiten keinerlei Beachtung. Sie heben sich aus der Masse der massenhaften Malereiproduktion unserer Zeit kaum heraus. Da hat zwar einer technisches Wissen, leider aber nichts zu sagen, 400 beherrschte Handschriften und keine einzige Sprache.

Gut jetzt.