nk saar nichtraucherbahnhof

nicht am nichtraucherbahnhof, aber in der nähe der vhs bei einer kleinen zeichensession am freitagnachmittag. das was das kind auf dem rücekn trägt sind keine flügel, auch wenn man es meinen könnte, sondern ein sehr großer rucksack

leben geht

in diesem Haus ist vor gar nicht allzu langer Zeit ein Mensch bei einer Brandstiftung ums Leben gekommen – was soll man sagen: Leben geht weiter? – immerhin soll man „dezent“ werben – – – aber Gedanken- und Geschmacklosigkeit sind sich manchmal ziemlich nahe

der radiozeichner: nr 27 : zu einer Zeichnung von Johannes Grützke

Diese Zeichnung ist größer, als man sie sich vorstellt, sieht man sie nur als Abbildung in einem Katalog: 130x120cm. Die Aufrißzeichnung zu einem in Öl auf Leinwand ausgeführten Portrait. Es gilt auch die Vermutung: Der Begriff „Aufrißzeichnung“ meint hier, dass es sich quasi um die Anlage der grundlegenden Parameter für dieses Portrait direkt auf der nachher als Gemälde ausgeführten Leinwand handelt. Die Zeichnung ist also verschwunden, existiert nur noch als Foto und Abbildung im Katalog. Davon übrig geblieben ist einzig das fertige Gemälde. Was heißt Portrait?: Es geht also um die Darstellung und Erfassung einer bestimmten Person, in diesem Falle wohl eher: Persönlichkeit. Muss man wissen, wer Valeska Gert war, um die Zeichnung besser würdigen zu können? Es ist so, wie es oft ist: man sieht mehr, je mehr man weiß. Aber es ist auch so: die Zeichnung funktioniert auch ohne ein vertieftes Wissen über die dargestellte Persönlichkeit. Vor ein oder zwei Jahren bin ich bei youtube auf einen Mitschnitt der Talk-Show „Je später der Abend“ gestoßen, bei der Valeska Gert Anfang der 70er Jahre eingeladen war und erinnerte mich sofort an die Zeichnung in der Johannes-Grützke-Monografie aus dem Zweitausendeins-Verlag, die ich 1985 gekauft habe. Nicht zuerst an das Gemälde, sondern seine Aufriß-Zeichnung war also in erster Linie (sic) in der Erinnerung präsent, ohne dass ich damals wusste, wer da eigentlich dargestellt ist. Mit dunklen Kohlestrichen mittig ins Format gesetzt, 1978, kurz vor ihrem Tod entstanden, finden wir einen, das Format bestimmenden Kopf einer älteren Dame, große Nase, fast schon Karikatur, den Kopf von uns aus gesehen leicht nach links gewendet, den wach-lebendigen Blick aber direkt auf uns fixiert. Der Mund eine scharf geschittene Linie, einige senkrechte Falten nach oben hin abgehend. Auffallend im Verhältnis zu dem dominierenden Kopf: die beiden links und rechts unterhalb der Schultern platzierten Hände – man hat den Eindruck, die Arme fehlten, eine waagerechte Linie unterhalb der Handwurzeln versucht aber die Räumlichkeit zu klären: sitzt die Frau vielleicht zu niedrig an einem Tisch? Links und rechts hinter der Figur finden wir aber im Bogen abgehende, durch die Biegung auch etwas weicher wirkende Linien, die wir vielleicht als die Figur stützende Kissen lesen dürfen? Die Person sitzt aufrecht im Bett? Wie auch immer: die Lebhaftigkeit des Gesichtes steht in Kontrast zu den scheinbar fehlenden Armen, die Hände suchen zwar nicht wirklich Halt, liegen aber etwas ungenutzt auf der Decke. Trotzdem scheint es so, als ob die Person versuche, sich ein wenig zu uns hinzuziehen, um uns ihre Aufmerksamkeit besser widmen zu können. Zeichenkohle ist per se eigentlich ein weiches Material, erzeugt zwar klarschwarze Linien, kann leicht zum Grau hin verwischt werden, hier in diesem Aufrß wird sie aber sehr entschieden, recht hart eingesetzt. Die dunklen Haare etwa sind recht heftig notierte Striche, die sich, von einem Mittelscheitel ausgehend, nach links, bzw. rechts abbiegend wegbewegen. Eine wilde Person, da ist Bewegung drin will uns das wohl sagen. Körperliche Bewegung und Spannung als Ausdruck innerer Bewegung und Spannung. Wir dürfen den Charakter der Aufriß-Zeichnung nicht vergessen: Keine Linie soll hier bleiben. Sie sind dazu gedacht, als Anhaltspunkte für die spätere darüberliegende Malerei zu dienen. Sie sind zupackend, brauchen aber auch andererseits nicht 100% genau zu sein, denn die Feinheiten werden später mit Pinsel und Farbe ausgearbeitet. Das erklärt die nicht geglätteten Härten, die schroffen Striche, die uns eine ganze Menge über den unverstellten Blick des Zeichners auf die zu portraitierende Person verraten. Vergleicht man damit dann das fertige Gemälde, so geht es mit der Person etwas milder um. Gerade noch die Komposition selbst (Größe des Kopfes, Wachheit und leichter Spott im Blick, die merkwürdige Sitzposition innerhalb der Kissen mit den verschwindenden Armen) verweist auf die Quirlig- und Lebendigkeit dieser Person, nicht die Art des Farbauftrags z.B., wie es in der Aufrißzeichnung die Linien auch selbst zu transportiern verstehen. Direktheit und Rauheit in einer Zeichnung sind ganz eigene Qualitäten.