Anmerkungen zur Kritik.

Von welchen Kriterien hängen Jury-Entscheidungen ab? Von Zufällen, Verstimmtheiten, Gestimmheiten, Sympathie und Antipathie. Hat man in einer Jury ein Alphatier, oder vielleicht zwei Alphatiere. Sind eher Schauspieler darunter oder eher Produzenten oder eher Menschen, die auf die Bilder schauen?

Generell ist ein Wettbewerb wie der Max-Ophüls-Preis eine interessante Woche. Man sieht z.T. Dinge, die man sonst vielleicht nicht sieht. Man kann sich eine Woche lang Gedanken um eigene Präferenzen und Kriterien machen. Das ist schön und lehrreich für einen selbst.

Und dann werden am Schluß Dinge herausgehoben und andere bleiben unten am Boden stehen.

Man hätte auch andere Dinge herausheben können.

Vieles ist hier von Zufällen abhängig.

Zufällen, die aber zu Entscheidungen führen, die Dinge verändern. Den einen fördern, den anderen vielleicht hemmen.

Das ist das Geschäft, aber muss das so sein?

Ein Tröstliches hat es dann auf die Jahre dann aber doch: Es gab Filme der letzten Jahre, die haben keinerlei Preise oder Erwähnungen bekommen, an  die denkt man noch immer. Die sind sogar nach ein oder zwei Jahren auch mal in dem ein oder anderen Kino aufgetaucht.

Ebenso gibt es Preisträgerfilme, die sind irgendwie nie wirklich in den Kinos aufgetaucht.

Ein bisschen Trost, dass Ranglisten dann doch nicht alles sind.

ophüls 35, 6, filme 15 und 16

17uhr: DURCH DIESE NACHT SEHE ICH KEINEN EINZIGEN STERN. Regie: Dagmar Knöpfel. (außerhlab des Wettbewerbes in der Corinna Harfouch-Reihe): Am 6. Tag ist man ein wenig müde, deshalb habe ich ein wenig mit der langsamen Erzählweise gekämpft, was aber nichts über den Film sagt. Ein Film, der sich mit seinen Bildern viel Zeit lässt und auf drei Briefen der teschechischen Schriftstellerin Bozena Nemcová beruht. Dreimal setzt sie an, um ihrem Verleger zu erklären, warum sie derzeit nicht in der Lage sei, ihre gesammelten Schriften herauszugeben, und das, was man erfährt über ihre Lebensbedingungen, über ihren Mann, ihr Keingehaltenwerden in dieser Familienstruktur,  ist eigentlich ein Skandal. Der Film erzählt nicht viel, aber auch er setzt dreimal an, und man sieht dieselben Geschehnisse in drei leicht verschobenen Varianten und so wird die Situation der Protagonistin ausgesprochen deutlich.

 

20uhr15: DER BLINDE FLECK. Regie: Daniel Harrich. Ein Film, um den im Vorfeld schon ein wenig Trara gemacht worden ist, weil er parallel zum Festival wohl auch bereits in den Kinos angelaufen ist, er aber trotzdem der Festivalleitung so wichtig erschien, dass er trotzdem laufen sollte. Es geht um das Oktoberfestattentat von 1980 und die Vertuschungen, die dazu geführt haben, dass man unbedingt in der Öffentlichkeit einen Einzeltäter präsentieren wollte, anstatt den Hinweisen auf Verstrickungen mit der Wehrsportgruppe Hoffmann nachzugehen, um Franz-Josef Strauß im Wahlkampf aus der Schußlinie zu nehmen. Der Anschlag war am 26.9., Bundestagswahl damals am 5.10. Die Hintergrund-Infos sind zwar ganz interessant, beruhend auf dem Buch des BR-Journalisten Ulrich Chaussy. Der Film leidet ein wenig unter der prominenten Besetzung, die BR-Tatortkommissare Wachveitl und Nemec hier in wichtigen Nebenrollen zu besetzen, war keine gute Idee. Generell ist der Film ein wenig zu professionell und abgebrüht. Die Musik im zeitgemäßen Stil ein wenig zu dramatisch aufgesetzt und laut. Pseudodokuspielfilm, der einen dann doch irgendwo ins Leere laufen lässt.

ophüls preisträger

Diese sind seit eben bekanntgegeben. Den Preisträgerfilm hatten wir nach der Beschreibung im Programmheft nicht ausgesucht, auch den Träger des Drehbuchpreises nicht. Aber die laufen bestimmt demnächst auch mal im „richtigen“ Kino. Kinowerkstatt IGB zum Beispiel. Schade auch, dass ein Film wie VIKTORIA nicht den neuen Preis für gesellschaftsrelevante Filme bekommen hat. Nungut, auch MÄNNDER ZEIGEN FILME UND FRAUEN IHRE BRÜSTE hatten wir nicht auf unserer Agenda, vielleicht kann man das ja nachholen, die Begründung der Jury macht dann doch neugierig. Ebenso auch auf LOVE STEAKS.

Dass der intelligente Kurzfilm ALTER EGON den Publikumspreis für Kurzfilme bekommen hat, das ist sehr erfreulich, wirklich ein sehr kluges freches kleines Filmchen.

HIGH PERFORMANCE wenigstens den Publikumspreis. Hätte auch als gesellschaftsrelevant durchgehen können. Nungut.

Und FAMILIENFIEBER als Preis der Ministerpräsidentin wundert mich ein wenig. Wo sie doch grade alle so gegen Prostitution unterwegs sind, wäre doch hier VIKTORIA auch eine gute Wahl gewesen. Scheint mir so, als fände ich es schade, dass dieser Film so komplett leer ausgegangen ist…obwohl, wie in meiner Tageskritik zu lesen, FAMILIENFIEBER meiner Meinung auch ein recht klug gemachter Film war.

Kritik ist ein schwieriges Geschäft, Kriterien zu finden und die Dinge aneinander zu messen auch. Wenn möglich werde ich mir die preisgedingsten Filme irgendwann einmal angucken. Nur nicht morgen.

Morgen steht noch DER BLINDE FLECK auf dem Programm und DURCH DIESE NACHT SEHE ICH KEINEN EINZIGEN STERN (außerhalb des Wettbewerbs). Und dann ist erstmal Schluss.

(Wobei ich ja seit „zwischen den Jahren“ dran bin, mir die HEIMAT.Trilogie ins Gedächtnis zurückzurufen, resp. zu erarbeiten. Und das ist auch ziemlich dichte Kost (zumindest DIE ZWEITE HEIMAT)…

 

ophüls 35, 5, filme 12 – 14

9uhr30: HIGH PERFORMANCE. Regie: Johanna Moder. Das Thema Kapitalismus, Kapiatlismuskritik und was mach ich aus meinem Leben werden hier auf unterhaltsame Weise intelligent abgehandelt. Interessante Idee der Konstellation zweier Brüder aus wirtschaftlich erfolgreichem Haus, deren einer eine Wirtschaftskarriere eingeschlagen hat, der andere Mitglied einer Off-Theatergruppe ist und sein Geld als Aushilfe im Supermarkt verdient. Es kommt zur Zuspitzung, als der Wirtschaftsbruder den Theaterbruder benutzt, um eine seiner Angestellten zu bespitzeln. Das gute an dem Film ist das Drehbuch. Da holpert nix und trotz dieser etwas gewagten Konstruktion wirkt das alles ausgesprochen glaubhaft. Und auch der Schluß bleibt im besten Sinne unbefriedigend. Es kommt zu keiner eindeutigen Wegschiebung: Hier der böse Kapitalistenbruder, da der gute Schauspieler, nee, der Wirtschaftsbruder gewinnt sein intigantes Spiel und steht als Gewinner da, der Schauspielerbruder verliebt sich zwar in die zu bespitzelnde Programmiererin seines Bruders, verliert diese aber, weil alles rauskommt, sie, gerade erst entlassen, pokert und steigt mit höherem Gehalt wieder in die Firma ein, während die alternative Theatergruppe von durch den Verrat verdienten Geld gesponsert wird. Und beide Brüder stehen am Schluß zusammen und rauchen gemeinsam eine Zigarette vor der Tür. Das muss man erstmal so erzählen, dass das funktioniert. Und hier tut es das.

 

12uhr. SEME. Regie: Il Kang. Bis zur Hälfte des Filmes konnte ich mich bestimmter Gedanken nicht erwehren, z.B. wieso will mir da jemand was erzählen, der eigentlich gar keine Lust hat, mir etwas zu erzählen. Oder: Ein an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg entstandener Film: wirklich ein typischer Kunststudentenfilm, etwas blutleer. Und eine merkwürdig aus dem Zusammenhang fallende Szene mit einem Stadtstreicher, der seine Schnapsflasche fallen lässt und dann vor Wut im Regen seinen Schirm zertrümmert. Schlecht gespielt und an der Stelle war ich drauf und dran, den Film innerlich zu verlassen. Doch so langsam kam dann doch ein wenig Stringenz in die Geschichte, die vielleicht, alles in allem, in ihrer Entwicklung ein wenig zu vorhersehbar bleibt, aber man geht dann am Ende doch nicht raus mit einem unguten Gefühl. Ein Film, den man sich durchaus ansehen kann. Nochwas lobenswertes, was ich fast vergessen hatte: Die Filmemacher haben sich entschieden, die koreanisch gesprochenen Passagen nicht zu untertiteln. Dies war ein guter Plan, man versteht trotzdem, um was es geht, und es lässt einen trotzdem die Situation erspüren und auch ein wenig die Fremdheit.

 

16uhr30: HERRENPARTIE. Regie: Wolfgang Staudte, 1964 (außerhalb des Wettbewerbs): Das sind die Veranstaltungen, weswegen ein Besuch des Festivals alleine bereits lohnt. Einen solchen Film wieder- oder zum erstenmal zu sehen. Ein wichtiger Film nicht nur für die damalige Zeit. Dazu begleitet von einem Interview mit Helga Sanders-Brahms, die ihre Begeisterung über Staudte und den Film ans Publikum weitergibt. Beides sehenswert, Frau Staudte und der Film. Auch dieser Nachmittag wird lange nachklingen.

blog-Eintrag Nr. 1700, Ophüls 35, 4, Filme 9 – 11

10uhr30: VERGRABENE STIMMEN. Regie: Numan Acar. Ein Film wie ich ihn mit seit Jahren wünsche. Jemand, der sich Gedanken um seine Bilder macht und um die Art und Weise, wie er was erzählen will. Der sich bewusst vom konventionellen Erzählen absetzt und deshalb auch konsequenterweise keine Förderungen für seinen Film beantragt hat. Nicht alle Bilder versteht man, nicht alles löst sich auf, nicht alles versteht man. Aber es bleiben starke Bilder, interessante Einfälle (auch im Soundtrack) und vieles, was einen noch weiter beschäftigen wird. Nach allen Wettbewerbsfilmen, die ich bis heute abend dann gesehen habe, mein aktueller Favorit.

Intermezzo: Deshalb mein Favorit, weil zwar VIKTORIA auch ein wichtiger und gut gemachter Film ist, VERGRABENE STIMMEN aber dann filmisch doch mehr wagt, auch dass Numan Acar oft zu einer eigenen Erzählweise und Bildsprache gelangt, spricht sehr für diesen Film. Würde mich sehr freuen, wenn dieser Mut belohnt würde…

13uhr15: FAMILIENFIEBER. Regie: Nico Sommer. Zu vergleichbaren Themen hat man schon mehr oder weniger Gelungenes gesehen. Konstellation: Zwei Elternpaare werden von einem verliebten jungen Paar in das Haus des Jungen eingeladen, damit sie sich mal kennenlernen. Und eigentlich sollen sie dabei gleich auch erfahren, dass das Mädchen schwanger ist. Kommt anders. Die Mutter des Mädchens hat seit einiger Zeit ein Verhältnis mit dem Vater des Jungen. Beide wussten aber bis zu diesem Abend nicht, dass ihre Kinder ein Paar sind. Zuerst versucht man es zu verheimlichen, die Mutter hält dies aber nicht aus und bringt die Wahrheit zur Sprache. Und was jetzt und auf welche Art zur Sprache kommt ist ausgesprochen klug gesagt und clever inszeniert. Ein locker daherkommender Film mit viel Humor, der sein durchaus ernstes Thema (zwei Ehe-Paare, die nicht mehr funktionieren, warum und wie man damit umgeht) klug vermittelt. Bei diesem Thema könnte man sehr leicht ziemlich viel versemmeln, passiert aber nicht. Alles schlüssig. Und verglichen mit dem Humorproblem in TOTALE STILLE: So kann das auch funktionieren mit der Balance zwischen Ernst und Humor.

15uhr: FRÄULEIN ELSE. Regie: Anna Martinetz. Die Novelle von Schnitzler wird nach Indien transponiert. Man fragt sich natürlich: warum. Die Antwort im anschließenden Gespräch ist aber nachvollziehbar. Die Novelle spielt in einem Nobelhotel in Italien. Italien sei damals eine Art heutiges Schwellenland gewesen mit prekären Arbeitsverhältnissen im Kontrast zur mondänen Gästeschaft des Hotels. Indien schien der Regisseurin ein adäquates Land aus heutiger Zeit. Sie hat sich außerdem für eine intellektuelle Variante der Verfilmung entschieden: Der Text wird in der Schnitzlerschen Diktion vorgetragen, die Währung im Text durch Euro ersetzt. Weitere kleine Modifikationen dieser Art hat der Text zu ertragen. Die Brechung ursprüngliche Diktion im Verhältnis zu heutigem Indien schafft Distanz zu Text und Film, so dass man, deshalb „intellektuelle Variante“, schließlich dann doch eher auf den Text zurückgeworfen wird, der der Regisseurin als Ausgangspunkt dann doch sehr wichtig war. Filmisch wird das ein oder andere Experiment mit der Filmsprache gewagt, überwiegend verbleibt es aber bei einer recht konventionellen Bildsprache. Kein schlechter Film, gehört aber in die Kategorie: einmal Sehen reicht.

18uhr30: WESTEN. Regie: Christian Schwochow. (außerhalb des Wettbewerbes): Hätten wir gerne gesehen. Leider gab es eine technische Panne in der Camera 2, weshalb der Film nach der Anfangssequenz bereits abgebrochen werden musste.

ophüls 35, 3, film 7 und 8.

10 uhr: Viktoria – a tale of grace and greed. Regie: Men Lareida. Eine junge Ungarin verlässt Budapest, um in Zürich als Prostituierte auf dem Straßenstrich das große Geld zu machen. Ein klug erzählter Film, auf Ungarisch mit Untertiteln. Ein in seinen Zwischentönen wichtiger Film. Gut inszeniert und gut gespielt. Bisher haben wir nur vier Wettbewerbsfilme gesehen – wenn ich unter diesen vier einen Preisträger wählen müsste, dann wäre es dieser!

14 uhr: TOTALE STILLE. Regie: Zarah Ziadi. Die Geschichte von zwei Amokläufern, die persönlich gescheitert sind, dies politisch verbrämen und ihre Uni überfallen. Man möchte nach diesem Film leider sagen: Thema verfehlt. Der Film weiß nicht, ob er die Gewalt thematisieren will oder eine Komödie sein möchte. Im Gespräch nachher heißt es, man habe sich an japanischen Filmen orientiert, wo auch die Genres wild gemischt werden, oder an Shaklespeare, der auch in seinen ernsten Dramen immer eine Figur habe, die durch komische Momente das Publikum nochmal durchatmen lässt, bevor es mit dem Unerträglichen weitergehe. Mag ja sein, dass das bei Shakespeare so ist und dass man das tun kann. Man muss es aber auch können. Hier erscheint es einfach nur unentschieden, was dazu führt, dass nie wirklich Spannung aufkommt, die Handlungsstränge vorhersehrbar sind und das Drehbuch überhaupt an vielen Stellen hinkt. Nur ein Beispiel: Ein Prof, in seinem Büro sitzt er mit seiner Geliebten, einer Uni-Angestellten, fest. Er kommt auf die Idee: Vielleicht verbirgt sich hinter der Klappe an der Decke ein Lüftungsschacht, über den man vielleicht fliehen könne. Seine Geliebt klettert auf seine Schultern und kommt grade so an die Decke, um in den Schacht zu schauen. Schnitt. Nächste Szene: Beide klettern durch den Schacht. Jetzt sag mir mal einer, wie der Prof (auch nicht mehr ganz so taufrisch) da hineingekommen sein soll! Ich hätte es noch nicht mal von der Position auf seinen Schultern stehend geschafft. Und derer Holperer gibt es einige. Die einzig interessante Figur: Eine junge Frau, man sieht sie in der ersten Szene beim Psychiater, der ihr rät, sie solle endlich mal Zähne zeigen, sich wehren, nicht immer alles schlucken und duckmäusern. Sie solle sich vorstellen, was sie mit ihrem Ex-Freund täte, wenn sie eine Waffe hätte und er nochmals ankäme, um ihr kundzutun, sie zu verlassen. Und all das, was sie sich kaum zu phantasieren traut, tut sie nachher mit einem der beiden Amok-Läufer in echt. Und geht dann wortlos in der Schlussszene an allen Hilfskräften vorbei ins Freie. Superschluß. Wären nur 30% von dem Film auch so gewesen. Und nochwas: Wenn man in einem Film sitzt und einem plötzlich Zeit sichtbar wird, noch eine Szene und noch eine und der Film kommt nicht voran und wie lange dauert das eigentlich schon: nur der Hauch eines solchen Gedankens spricht gegen das Drehbuch. Thema verfehlt und Chance verschenkt.

 

ophüls 35, 2, film 4 – 6

14 uhr: POKA. Regie: Anna Hoffmann. Interessantes Thema schön erzählt. Was von dem Film aber wirklich an Bildern hängen bleiben wird, ist abzuwarten. Auffallend vor allem der Darsteller Pavlo Pasha Antonov. Man erfährt einiges über die sog. Russland-Deutschen, ihr Selbstverständnis in der UdSSR und wie sich dieses geändert hat, als sie nach Deutschland gekommen sind. Die Story ist klug gebaut, man sieht erst einmal eine Menge über die Zustände in der UdSSR, detailreich und glaubwürdig beschrieben.

18 Uhr 30. DAS HAUS MEINES VATERS. Regie: Ludwig Wüst. (außerhalb des Wettbewerbes). Interessant die Grundidee, den Film ohne Schnitt, resp. mit einem einzigen Schnitt nur in zwei Plansequenzen zu drehen. Daraus folgt, dass er auch in Echtzeit spielt. Ein Mann kehrt nach dem Tod seines Vaters in sein Elternhaus zurück und sieht sich in Begleitung einer ehemaligen Schulfreundin die Stätte seiner Kindheit und Jugend wieder an. Die beiden unterhalten sich, so wie man sich in solcher Situation unterhält und Stück für Stück erfährt man mehr, erahnt Abgründe. Die Frage bleibt, ob der 65 minütige Film tatsächlich funktioniert oder ob er nur eine Stilübung ist. Wobei ich eher zu ersterem tendieren würde. Auch hier bin ich gespannt auf die Bilder, die bleiben.

22uhr30. AUTUMN BLOOD. Regie: Markus Blunder. (außerhalb des Wettbewerbes): Der Film läuft auf Englisch ohne Untertitel. Doch keine Panik: Es wird kaum gesprochen. Und das ist das Wunderbare dieses Films. Wie hier mit eindrucksvollen Bildern eine Geschichte um sinnlose Gewalt und Vergewaltigung im Alpenraum inszeniert ist, dürfte einen so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen. Da traut sich jemand mal wieder was. Hier werden wohl tatsächlich Bilder hängen bleiben…

 

ophüls, 35, 1, film 1 bis 3

14 uhr: und morgen mittag bin ich tot. Regie: Frederik Steiner. Von SWR und arte begleitet. Ein Film über eine junge Muskoviszidose-Patientin, die beschließt, ihrem Leben in einer Zürcher Einrichtung ein Ende zu setzen. Ein Film, bei dem man sich wünschen würde, auf die Idee, Filme durch Musik zu begleiten, wäre noch nie jemand gekommen. Dort, wo er seinen Bildern vertraut, funktioniert er sogar meist (nicht immer). Aber wo er Musik einsetzt, macht er sich vieles von seiner Wirkung kaputt und überzuckert und setzt auf falsche Gefühle. Rosamunde Pilcher wäre die nächste Stufe. Ein Beispiel: Die Protagonistin Lea erleidet im Sterbezimmer im Beisein kurz vor dem Einnehmen des Gifttrankes nochmals einen panische Attacke und geht zur Toilette. Diese Bilder, wie sie dort mit sich ringt, auch wie dies fotografiert ist, wären absolut beeindruckend: die Figur und ihr Drama wären sich ausgeliefert und der Zuschauer könnte dem nicht entrinnen. Jetzt muss man aber ein wenig Musik drunterlegen, um das ganze nochmals zu untermalen. Wieso? Diese Untermalung schafft Distanz, gibt dem Zuschauer vor, welche Gefühle er dabei zu haben hat (entmündigt ihn also) und verhindert so, dass man von dem, was man zu sehen bekommt, wirklich betroffen ist. Der Regisseur nachher im Gespräch: Es zeigt sich, dass er ein Profi im negativen Sinne ist: Man schlägt ihm ein Buch vor, er nimmt an, beginnt dann, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Er weiß, wie man Dinge in Bilder übersetzt und macht seinen Job. Aber im Grunde genommen könnte er auch am Schreibtisch sitzen und Steuerbescheide bearbeiten. Ein leider mutloser Film, der Chancen eines Themas verschenkt, das einer ernsthafteren Betrachtung wert wäre.

20 uhr: Matthias Glasner in der Corinna Harfouch Reihe. Eine frühe Fingerübung eines wirklich interessanten Regisseurs, der für solche Filme wie „Der freie Wille“ und „Gnade“ verantwortlich zeichnet. Eine Fingerübung in 12 Tagen mit wenig Budget abgedreht, wie Frau Harfouch auskunftet. Frech, roh. Und vor allem kann hier jemand auch Musik einsetzen, so dass die Stimmung schafft und die Filmbilder strukturiert und stützt. Hier ist auch jemand am Werk, der keinen Job macht, sondern was erzählen will. Ob einem das ein wenig zu klamaukhaft wird oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Mich hat’s ein wenig an Wim Wenders „Same Player Shoots Again“ erinnert. Aber immerhin jemand, der sich was traut.

22uhr15: das leben nach dem tod am meer. Regie: Martin Rieck. Dokumentarfilmwettberwerb. Hier stimmt alles: Beobachtet wird ein junges Paar, das per Occasion ein Beerdigungsinstitut in Husum übernimmt. Welche Gedanken, welche Arbeit machen sich die beiden (viele Gedanken und gute Arbeit), wie ist das gemeinsame Leben, wie hat es sich verändert usw. usf. Sensibel beobachtet, mit günstig erworbenem Gerät gefilmt, nicht gefördert, weil der Autor Grafik-Designer ist und kein Absolvent einer Filmschule, gut geschnitten und mit einem extra komponierten Soundtrack unterlegt:  https://www.facebook.com/daslebennachdemtodammeer