monochrom, zweidunkle

24-0925-09
Für die Frömmigkeit ist die Hauptsache, richtige Vorstellungen von den Göttern zu haben: dass sie sind, dass sie die Welt gut und gerecht regieren, dass es deine BEstimmung ist, ihrem Willen dich zu fügen, dich in alles, was geschieht, zu schicken, dich gern und mit der Überzeugung zu fügen, dass es von höchster Einsicht so zum Ziel geführt wird; dann wirst du die Götter niemals tadeln, nie ihnen Vorwürfe machen, als kümmerten sie sich nicht um dich.
Aber das ist nur dann möglich, wenn du die Begriffe von Gut und Böse nicht dem entnimmst, was nicht in unserer Macht steht, sondern sie nur in dem suchst, was wirklich unser ist.
Wenn du jedoch etwas von jenem für gut oder böse hältst, dann musst du unweigerlich den Urhebern Vorwürfe machen und sie hassen, wenn du etwas nicht erreichst, was du erstrebst, oder wenn dir etwas widerfährt, was du nicht wünschest.
Denn jedem Wesen ist es angeboren, das, was ihm schädlich erscheint und was den Schaden verursacht, zu meiden und zu fliehen, dem Nützlichen aber und seinen Ursachen nachzugeben und es zu bewundern.
Es ist also unmöglich, dass einer, der sich geschädigt glaubt, sich über den Urheber des Schadens freut, ebenso wie man sich unmöglich über den Schaden selber freuen kann.
So kommt es, dass ein Vater von seinem Sohne verwünscht wird, wenn er ihn an den Dingen nicht teilnehmen lässt, die jener für Güter hält. Auch für Eteokles und Polyneikes war das der Grund zur Feindschaft, weil sie die Alleinherrschaft für ein Gut hielten. Daher kommt es, dass der Landsmann der Götter lästert, darum tut es der Seemann, darum der Kaufmann, darum alle, die Weib und Kind verdienen.
Denn Vorteil und Religion stehen miteinander in Wechselbeziehung. Wer daher sein Streben und sein Meiden in die richtige Bahn zu bringen sucht, der handelt eben dadurch auch religiös. Doch Trank- und Brandopfer darzubringen, die Erstlingsgaben nach Väterbrauch zu weihen, ziemt sich für jeden; mit reinem Herzen, nicht gedankenlos, nicht nachlässig, nicht gar zu kärglich, aber auch nicht über Vermögen soll man es tun.
Wenn du zu einem Orakel gehst, so merke dir: welches Ereignis dir bevorsteht, das weisst du freilich nicht, sondern deswegen bist du zum Wahrsager gekommen, um es zu erfahren; von welcher Art aber eine Sache ist, das wusstest du schon, als du kamst, wenn anders du ein Philosoph bist. Denn wenn es eins von den Dingen ist, die nicht in unserer Gewalt stehen, dann kann es in keinem Falle ein Gut oder ein Übel sein.
Bringe also zum Wahrsager weder Wünsche dafür noch dagegen mit; geh auch nicht mit Zittern undZagen zu ihm, sondern in der Überzeugung, dass alles, was da kommen wird, gleichgültig ist und dich nichts angeht; welcher Art es auch immer sei – es wird möglich sein, davon einen guten Gebrauch zu machen, und daran kann dich keiner hindern.
Getrost also wie guten Ratgebern nahe dich den Göttern und, wenn dir ein Rat erteilt worden ist, dann denke daran, wen du als Ratgeber genommen hast und wem du ungehorsam sein wirst, wenn du nicht hörst.
Geh aber auch nach dem Beispiel des Sokrates nur in solchen Fällen zum Orakel, wo alleine der Ausgang der Sache in Frage steht, und wo weder durch vernünftige Überlegung noch durch irgendeine Kunst die Mittel geboten sind, das klar zu erkennen, was bevorsteht.
Wenn du also einem Freunde oder dem Vaterlandes beistehen musst, dann frage nicht erst das Orakel, ob du es tun sollst. Denn wenn dir der Seher sagt, die Opferzeichen seien schlecht ausgefallen, so bedeutet das offenbar den Tod oder den Verlust eines Gliedes oder Verbannung. Aber die Vernunft fordert auch unter diesen Umständen, dem Freunde, dem Vaterlande in der Gefahr beizustehen. Wahrlich, darum richte dich nah dem größeren Seher, dem phytischen Apollo, der aus seinem Tempel den Menschen hinauwies, der seinem Freunde in Todesnot nicht zur Hilfe gekommen war.
Stelle endlich für dein Wesen ein festes Gepräge, ein bestimmtes Ideal auf, wonach du dich richtest, wenn du mit dir allein bist oder unter Menschen gehst.
Schweige gewöhnlich, sonst sprich nur das Notwendige und das mit wenig Worten. Selten, nur wenn es die Umstände erfordern, rede, aber nicht über alltägliche Dinge, nicht über Zirkuskämpfe, Pferderennen oder Athleten, nicht übers Essen und Trinken – das sind triviale Gesprächsstoffe -, vor allem aber nicht über andere Leute, um sie zu tadeln oder zu loben oder auch nur zu vergleichen.
Wenn es dir möglich ist, so lenke durch deine Unterhaltung das Gespräch der Gesellschaft auf einen angemessenen Gegenstand. Bist du aber allein unter ganz Fremden, dann schweige.

monochrom, zweihelle

23-09122-091
Die Pflichten richten sich im allgemeinen nach den persönlichen Verhältnissen.
Jemand hat einen Vater: die Pflicht gebietet, sich um ihn zu sorgen, sich ihm in allem zu fügen, Schelte und sogar Schläge geduldig von ihm hinzunehmen.
Aber er ist ein schlechter Vater.
Hat dir denn die Natur einen guten Vater gegeben?
Nein, bloß einen Vater.
Mein Bruder handelt unrecht an mir.
Behalte nur weiter dein Verhalten ihm gegenüber bei und kümmere dich nicht darum, was er tut, sondern was du tun musst, um dein Inneres im Einklang mit der Natur zu erhalten.
Denn dir kann ein anderer nicht schaden, wenn du es nicht willst, wenn du glaubst, geschädigt zu sein.
Ebenso wirst du finden, was sich für einen Nachbar, einen Bürger, einen Feldherrn ziemt, wenn du dich nämlich gewöhnst, dein Verhältnis zu diesen Stellungen genau anzusehen.

monochrom, olympisch

21-09
Bei jeder Sache bedenke, was ihr vorangeht und was ihr folgt, dann erst gehe an die Sache selbst heran. Tust du das nicht, dann wirst du anfangs zwar wohlgemut an die Sache gehen, da du nicht bedacht hast, was noch kommen wird: dann aber, wenn sich Unannehmlichkeiten zeigen, wirst du mit Schande von ihr abfallen.
Du willst in Olympia siegen? Ich auch, bei Gott! denn das ist eine schöne Sache. Aber bedenke, was vorangehen und nachfolgen wird, und dann eben mache dich daran:
Du musst dich einer strengen Ordnung fügen, nach Vorschrift essen, musst dich aller Näschereien enthhalten, musst dich auf Kommando und zu bestimmten Stunden trainieren, bei Hitze und Kälte, darfst nicht kaltes Wasser trinken, keinen Wein, wenn es dir gerade einfällt, kurz, du musst dich dem Aufseher wie einem Arzte überantworten, musst dich beim Wettkampf auf der Erde wälzen. Es kann auch vorkommen, dass du das Handgelenk aussetzest oder den Knöchel verstauchst, dass du viel Staub schlucken musst; zuweilen wirst du sogar Schläge erhalten und – trotz alledem wirst du möglicherweise zuletzt noch besiegt.
Das alles musst du bedenken, und wenn du dann noch Lust hast, dann werde Athlet. Sonst geht es dir wie den Kindern, die bald Gladiatoren, bald Ringkampf spielen, bald Trompete blasen, dann Theater spielen. So bist auch du bald ein Ringkämpfer, bald ein Gladiator, bald ein Redner, dann einmal ein Philosoph, mit ganzer Seele aber nichts! Sondern wie ein Affe machst du alles nach, was du siehst, heute das, morgen etwas anderes, wie es dir gefällt. Denn du trittst nicht mit Überlegung an eine Sache heran, du siehst sie dir nicht von allen Seiten an, sondern folgst jedem Einfall, jeder flüchtigen Laune.
So haben zum Beispiel manche einmal einen Philosophen gesehen, haben ihn reden hören, wie etwa Euphrates redet – fürwahr, wer kann so reden wie der! – gleich wollen sie auch Philosophen sein. Mensch, zunächst überlege dir, worum es sich eigentlich handelt; dann prüfe deine natürlichen Anlagen, ob du der Sache auch gewachsen bist. Willst du ein Ring- oder Fünfkämpfer werden? Dann sieh dir deine Arme, deine Schenkel an, prüfe deine Hüften, denn der eine hat hierzu Anlage, der andere dazu.
Glaubst du etwa, dass du bei einem solchen Beruf noch weiter in derselben Weise essen und trinken kannst, dass du noch in gleicher Weise deinen Neigungen und Abneigungen folgen darfst? Du musst es ertragen können: den Schlaf zu entbehren, Strapazen zu erdulden, deine Angehörigen zu verlassen, von einem Sklaven dich verachten zu lassen, von den Leuten auf der Straße verlacht, bei jeder Gelegenheit, bei einer Ehrung, einer Beförderung, vor Gericht, überhaupt in allen Dingen übergangen zu werden. Das bedenke: ob du dafür Seelenruhe, Freiheit, innere Festigkeit eintauschen willst. Willst du das nicht, dann fange nicht erst an. Mach es nicht wie die Kinder: heut Pilosoph, morgen Zolleinnehmer, übermorgen Redner, dann einmal ein kaiserlicher Beamter – das passt nicht zusammen.
Nur eins kannst du sein, ein guter oder ein schlechter Mensch; entweder musst du deine Seele ausbilden oder deine äußere Lage, entweder deine Kunst auf das Innere verwenden oder auf das Äußere: entweder ein Philosoph oder ein Kind der Welt.

monochrom, korporell

20-09
Wenn jemand deinen Körper dem ersten besten, der dir begegnet, überantworten würde, dann würdest du dich empören. Du aber überlässt dein Herz jedem Beliebigen, so dass es, wenn dich jemand beschimpft, aufgeregt und aus der Fassung gebracht wird – solltest du dich dessen nicht schämen?

monochrom, wortreich garkeinwasser

19-09
Den Willen der Natur kann man an den Dingen erkennen, über die keine Meinungsverschiedenheit unter uns herrscht.
Wenn zum Beispiel der Diener eines anderen ein Trinkglas zerbricht, so sagst du gleich zu dessen Entschuldigung: das kann vorkommen. Merke dir also: Wenn bei dir zuhause etwas zerschlagen wird, so musst du dich ebenso verhalten wie damals, als es bei dem anderen geschah. Diese Regel kannst du auch auf wichtigere Vorkommnisse übertragen.
Stirbt zum Beispiel ein Kind oder das Weib eines anderen, dann gibt es gewiss keinen, der nicht sagt: das ist Menschenlos. Wenn aber jemandem sein eigenes Kind stirbt, dann klagt er sogleich: Weh mir, ich Unglücklicher!
Wir sollten aber bedenken, was wir empfinden, wenn wir bei einem andern von solch einem Fall hören.

So wenig wie ein Ziel aufgestellt wird, damit man es verfehle, so wenig hat das Übel von Natur einen Platz in der Welt.

monoton, chromatisch

17-09
Es ist dir jemand vorgezogen worden, bei einem Gastmahl oder einer Begrüßung, oder du bist nicht zu einer Beratung hinzugezogen worden. Ist dies etwas Gutes, dann sollst du dich darüber freuen, dass es jenem zuteil geworden; ist es aber ein Nachteil, dann ärgere dich nicht darüber, dass es dich nicht getroffen hat.
Bedenke doch, dass du nicht dieselbe Behandlung beanspruchen kannst, wenn du nicht dasselbe tust wie sie, um etwas zu erreichen, was nicht in unserer Gewalt steht. Denn wie kann einer, der sich nicht oft in den Vorzimmern der Großen aufhält, das gleiche erreichen wie einer, der dies tut? oder einer, der sich nicht in dem Gefolge eines Mächtigen sehen lässt und ihn nicht lobt, dasselbe erreichen wie einer, der dies tut? Du bist ungerecht und unersättlich, wenn du umsonst das haben willst, ohne den Preis zu zahlen, um den jene Dinge zu kaufen sind. Was kostet zum Beispiel doch der Salat? Einen Obolos, wollen wir einmal annehmen. Wenn nun jemand einen Obolos hinlegt und Salat dafür erhält, du aber nichts zahlst und nichts erhältst, so glaubst du doch nicht, im Nachteil zu sein gegenüber dem, der Salat erhalten hat? Denn wie jener den Salat hat, hast du noch den Obolos, den du nicht ausgegeben hast. Genau derselbe Fall ist auch hier.
Du hast keine Einladung zum Essen erhalten? Du hast auch dem Gastgeber den Preis nicht gezahlt, um den er sein Mahl gibt; um Lob, um Aufmerksamkeiten ist es zu haben. Wenn du glaubst, dass es dir Nutzen bringt, nun so bezahle die Kosten, um die es zu haben ist. Willst du diese nicht tragen und doch jenes haben, dann bist du ebenso unverschämt wie einfältig.
Hast du an Stelle der Einladung nichts zum Ersatz? Du hast jetzt das Bewusstsein, den nicht gelobt zu haben, den du nicht hast loben wollen, und hast dich nicht an seiner Tür herumdrücken brauchen.

monochrom, fiebrig

16-09
15-09
Gedanken wie die folgenden dürfen dich nicht quälen: ich werde unberühmt mein Leben verbringen und nirgends etwas etwas gelten. Kann denn Mangel an äußeren Ehren ein Übel sein, da du doch durch einen Fremden ebensowenig ins Unglück wie in Schande gestürzt werden kannst? Hängt es etwa von dir ab, zu einem Amte zu kommen oder zur Tafel zugezogen zu werden? Durchaus nicht! Wie kann das also Unehre für dich sein? wie kannst du ein „Niemand“ sein, so du nur auf dem Gebiet, das in deiner MAcht steht, etwa bedeuten sollst; und da kannst du der BEdeutendste sein.
„Aber du hast Freunde und kannst ihnen nicht helfen?“
Ja, was nennst du denn helfen? Sie werden kein Geld von dir bekommen, du wirst ihnen nicht das römische Bürgerrecht verschaffen können. Wer hat dir denn gesagt, dass dies in deiner Macht steht und nicht anderer Leute Sache ist? Wer kann einem anderen geben, was er selbst nicht hat?
„Dann erwirb, damit auch wir etwas bekommen können.“
Gut, wenn ich mir Erwerb verschaffen kann, ohne mein gewissenhaftes, redliches, hochstrebendes Wesen einzubüßen, dann zeige mir nur den Weg, und ich will es tun. Wenn ihr aber verlangt, dass ich meine eigenen Güter aufgeben soll, damit ihr nur zu den Gütern kommt, die gar keine sind, so seht ihr doch selbst ein, wie ungerecht und unverantwortlich ihr seid.
Was wollt ihr übrigens lieber: Geld oder einen treuen, ehrlichen Freund? Trag also lieber dazu bei, dass du ein solcher bist, und verlange nicht von mir, dass ich etwas tun soll, wodurch ich gerade diese EIgenschaften verliere.
„Aber das Vaterland wird von mir keinen Nutzen haben.“
Wieder muss ich fragen: Was für einen Nutzen denn? Säulenhallen und Bäder wird es freilich nicht von dir bekommen. Aber was tut das? Es bekommt ja auch vom Schmiede keine Schuhe und vom Schuster keine Waffen! Es ist genug, wenn jeder seine Stelle ausfüllt. Wenn du nun aus einem andern Menschen einen zuverlässigen und redlichen Bürger machst, trägst du da nichts zum Nutzen des Vaterlandes bei? „Doch.“ Also dürftest auch du dem Vaterlandes nicht ohne Nutzen sein.
„Welche Stellung soll ich denn im Staatsleben einnehmen?“
Diejenige, die du ausfüllen und bei der du zugleich ein rechtschaffener und sittsamer Mensch bleiben kannst. Wenn du aber dem Vaterlande nützen willst und diese Eigenschaften verlierst, was kannst du ihm da noch nützen, wenn du nicht mehr Treu und Glauben verdienst?

monochrom

14-09-10
Wisse: wenn es dir einmal widerfährt, in den Strudel der Außenwelt gezogen zu werden, so dass du einem andern gefallen willst, dann bist du von deinen Grundsätzen abgefallen.
Es muss dir deshalb in allen Verhältnissen genügen, ein Philosoph zu sein. Willst du außerdem als solcher angesehen werden, so sieh dich selbst als solchen an und sei zufrieden.

monochrom, ,,

13-09
Wenn du nach Weisheit strebst, so mache dich von vornherein darauf gefasst, dass man dich verlachen wird, dass dich viele verspotten und sagen werden: Der ist plötzlich als Philosoph wiedergekommen und: Wie kommt es, dass er auf einmal die Brauen so hoch zieht?
Lass nur die ernste Miene beiseite, aber an das, was dir das Beste zu sein scheint, halte dich, als seiest du von Gott auf diesen Posten gestellt.
Bedenke: wenn du auf diesem Posten ausharrst, dann werden dich diejenigen später bewundern, die dich vorher verlacht haben.
Fügst du dich ihnen aber, dann werden sie doppelt über dich lachen.

monochrom, different/indifferent

12-09
11-09
Du kannst als unbesiegbar dastehen, wenn du dich in keinen Kampf einlässt, in dem der Sieg nicht von dir abhängt.
Wenn du jemanden siehst, der hochgeehrt, sehr mächtig oder sonst irgendwie groß dasteht, so lass dich nicht etwa von dem Schein hinreissen, ihn glücklich zu preisen. Denn wenn das Wesen des Guten in dem beruht, was in unserer Macht liegt, dann ist hier weder Neid noch Eifersucht angebracht; du selbst willst doch weder Feldherr noch Ratsherr oder Konsul sein, sondern frei.
Dazu aber führt nur ein Weg: Verachtung alles dessen, was nicht in unserer Macht steht.

Bedenke, dass dich nicht der verletzt, der dich beschimpft oder schlägt, sondern nur deine Meinung, dass jener dich verletzt. Wenn dich niemand reizt, so wisse, dass es nur deine Auffassung von der Sache ist, die dich gereizt hat. Deshalb strebe vor allem danach, dich nicht von deiner falschen Vorstellung fortreissen zu lassen. Hast du einmal Zeit zur Überlegung gewonnen, dann wirst du leichter deiner Herr werden.

Tod, Verbannung, überhaupt alles, was allgemein für schrecklich gilt, halte dir täglich vor Augen, vor allem aber den Tod! Dann wirst du niemals etwas Niedriges denken oder übermäßig nach etwas begehren.

monochrom, hellblaugrau

10-09
Wenn der Rabe krächzend Unheil verkündet, so darf dich die Vorstellung nicht hinreißen, sondern mache dir sogleich klar: solche Prophezeiungen gelten nicht mir, höchstens meinem Körper, meinem bisschen Habe oder meinem äußeren Ansehen, meinen Kindern oder meinem Weibe. Wenn ich es will, wird mir nur Glück verkündet.
Was auch von den Prophezeiungen eintreffen mag, an mir liegt es ja, davon Segen zu haben.

monochrom, plural II

09-09

08-09
Du musst dich im Leben benehmen wie bei einem Gastmahl: es wird herumgereicht, die Schüssel kommt an dich: du langst zu und nimmst dir bescheiden; die Schüssel wird weitergetragen: halte sie nicht zurück; ist sie noch nicht zu dir gekommen, so richte dein Verlangen nicht weiter darauf, sondern warte, bis die Reihe an dich kommt.
So denke auch über Kinder, Weib, äußere Stellung und Reichtum, dann wirst du ein würdiger Tischgenosse der Götter sein.
Wenn du aber gar von dem nicht nimmst, was dir vorgesetzt wird, sondern es vorbeigehen lässt, dann wirst du nicht bloß mit den Göttern am Tische sitzen, sondern sogar mit ihnen herrschen. So machten es Diogenes, Herakles und ihresgleichen, und deshalb wurden sie mit Recht göttlich genannt.

Wenn du jemanden trauern siehst, weil sein Kind weit fort ist oder weil er sein Vermögen verloren hat, so gib acht, dass dich nicht die Vorstellung fortreisst, als sei jener infolge der äußeren Dinge im Unglück, sondern halte dir sofort gegenwärtig, dass jenen nicht das Geschehene schmerzt, denn einen anderen würde das ja nicht betrüben, sondern nur seine Auffassung von dem Geschehenen. Solange es noch mit Worten geht, magst du ihm sein Leid tragen helfen und vielleicht auch mit ihm seufzen; nur hüte dich, auch innerlich zu seufzen.
Betrachte dich als einen Schauspieler in einem Drama: die Rolle gibt dir der Dichter, du musst sie spielen, ob sie kurz oder lang ist. Will er, dass du einen Bettler darstellen sollst, so musst du auch diese Rolle gut spielen, auch wenn du einen Krüppel, einen Fürsten oder einen gewöhnlichen Menschen darstellen sollst.
Deine Sache ist es nur, die dir gegebene Rolle gut zu spielen; sie auszuwählen ist Sache eines anderen.

monochrom, chrau

07-09
Ein Herr des anderen ist also, der die Macht hat, das, was der andere will oder nicht will, ihm zu geben oder zu nehmen.
Wer also frei sein will, der darf nicht etwas erstreben oder vermeiden wollen, was in der Macht eines anderen steht. Sonst wird er unweigerlich dessen Sklave.

monochrom, hellblau

05-09
Willst du Fortschritte machen, so musst du es ertragen können, wenn man dich wegen deines äußeren Verhaltens für närrisch und einfältig hält. Wolle auch nicht den Anschein erwecken, als verständest du etwas, und wenn andere es von dir glauben, misstraue dir selbst.
Denn wisse: es ist nicht leicht, seine Seelenverfassung so zu erhalten, wie die Natur es verlangt, und zugleich die äußeren Verhältnisse zu berücksichtigen, sondern es gibt nur ein Entweder-Oder: wer das eine bekümmert, der muss das andere vernachlässigen.